Umstrittene Atom-Forscherin

■ Besuch im Hörsaal: Die Physikerin Inge Schmitz-Feuerhake steht wegen ihres Plutonium-Gutachtens im Kreuzfeuer der Kritik

Wirbel um ihre wissenschaftlichen Ergebnisse ist die Bremer Physikerin Inge Schmitz-Feuerhake inzwischen gewöhnt. Von der Kernkraftwerk Krümmel GmbH wurden ihr erst gestern „Inkompetenz in radiologischen Sachfragen“ und „wissenschaftlich unqualifiziertes Vorgehen“ vorgeworfen. Doch daß die Ergebnisse ihres neuesten Gutachtens jetzt öffentlichkeitswirksam von ihrem Kollegen Gerald Kirchner in Zweifel gezogen werden, der nur zwei Türen weiter in seinem Büro sitzt, zeigt, welches Standing die 62jährige unter ihren Kollegen hat: Die Uni-Mitgründerin gilt als Außenseiterin. Der Kollege hatte die Laboruntersuchung für Schmitz-Feuerhake durchgeführt. (siehe auch Bericht Seite 8).

Die Kontroverse um ihr neues Gutachten über Plutoniumfunde in der Nähe des Atomkraftwerks Krümmel spannt sie an. Mit einer dicken Akte voller Folien und Papiere tritt sie morgens zur Verteidigung ihrer Thesen vor die HörerInnen ihrer Vorlesung „Die wissenschaftlichen Grundlagen der Atomenergiekritik“. Nur fünf Studierende hatten sich im Raum N24/20 der Naturwissenschaften 1 eingefunden, um die Geschichte der bis heute ungeklärten Leukämiefälle in der Nähe des Atomkraftwerks Krümmel in der Elbmarsch erzählt zu bekommen. Mit den Daumen in den Taschen geht sie vor den Folienbildern an der Wand auf und ab.

Der größte Siedewasserreaktor der Welt in Krümmel wurde spätestens 1991 zum Subjekt der wissenschaftlichen Begierde für die Anti-AKW-sozialisierte C3-Professorin. Damals meldete ein Arzt aus der Umgebung des Reaktors eine merkwürdige Häufung von Leukämiefällen bei Kindern. Statistisch werden drei bis vier Fälle pro 100.000 Kinder erwartet – für die kleine Region um das Atomkraftwerk hätte das einen Fall in 20 Jahren bedeutet. Die These von Schmitz-Feuerhake: Aus dem Atomkraftwerk seien mehrfach für kurze Zeit radioaktive Edelgase ausgetreten. Vertuschte Störfälle?

Eine Chromosomen-Untersuchung brachte in den Augen von Schmitz-Feuerhake klare Ergebnisse: Im Dezember 1991 präsentierte sie Untersuchungen, in denen sie eine Veränderung von Erbmaterial bei Menschen aus der Nähe des Atomkraftwerks nachwies. Die Chromosomenstränge waren nicht an einer, sondern an zwei Stellen miteinander verknüpft. „Absurd“ nannte der Hamburger Strahlenbiologe Horst Jung die Ergebnisse damals, Schmitz–Feuerhake eine „drittklassige Wissenschaftlerin“. Warum die Studie keine Anerkennung fand, darauf will Schmitz–Feuerhake aus Zeitgründen vor ihren Studierenden nicht eingehen.

Seitem legte Schmitz-Feuerhake mehrfach nach, immer umstritten, immer gekontert von Gegengutachten: Vier präzise Zeitpunkte für mögliche Störfälle gab die Physikerin 1993 in einem Gutachten an, nachdem sie Bodenproben aus dem Gebiet untersucht hatte: September 1983, August 1984, September 1986 und Mai 1988. Die kurze Strahlenbelastung hätte die Leukämie bei den Kindern auslösen können. Das letzte Mal kam sie in die Schlagzeilen, als sie von Leckagen aus dem Siedewasser-Reaktor berichtete: Das Öko-Institut Darmstadt wollte damals ihre Thesen nicht unterstützen.

Jetzt ist sie wieder im Kreuzfeuer der Kritik. Daß ihr ausgerechnet der Kollege in die Parade fährt, der für sie die Laboruntersuchung gemacht hat, wiegt schwer. Doch sie bleibt dabei: Die angewendete Methode sei sauber und wiederholbar. Die Kritik des Kollegen beruhe auf einer Hausstaub-Probe von ihrem eigenen Dachboden in Bremen, die nicht verwertbar gewesen sei. Das habe auch Kollege Kirchner gesagt. Von „vorne bis hinten dummes Zeug“ seien die Einwände von ihm.

Später, in ihrem Büro, klingelt das Telefon ununterbrochen. Wer hat nun Recht?, wollen Journalisten und Wissenschaftler im Minutentakt wissen. „Das ist doch nur, weil ich es bin, die die Ergebnisse präsentiert hat“, ist ihre Erklärung für die Kontroverse. Auf dem Schreibtisch liegt frisches Moos aus Krümmel, bereit für die nächste Messung. Schmitz-Feuerhake demonstriert Sicherheit: „Ich bin absolut sicher, daß ich Recht habe.“

Christoph Dowe