Die Armen verlassen Kreuzberg

■ Eine neue Studie belegt, daß nicht die Besserverdienenden Kreuzberg 36 den Rücken kehren, sondern die Einkommensschwachen. Grund sind die hohen Mieten. Grüne wollen Politikwechsel

Als Armutsbezirk hat Kreuzberg in den vergangenen Jahren traurige Berühmtheit erlangt. Eine neue Studie des Stadtforschungsinstituts Topos über Kreuzberg SO 36 ergibt nun, daß die dortige Bevölkerung nicht nur immer ärmer wird. Auch die Abwanderung betrifft – anders als bislang angenommen – weniger die Einkommensstarken als vielmehr jene, die sich die ohnehin teuren Mieten nicht mehr leisten können. Sie ziehen nach Angaben des Kreuzberger Bürgermeisters Franz Schulz (Bündnisgrüne) in unsanierte Wohnungen in den Ostbezirken oder den Norden Neuköllns.

Seit der letzten Erhebung von Topos im Jahre 1992 hat Kreuzberg SO 36 acht Prozent seiner Bevölkerung verloren. Unter denen, die dem Kiez den Rücken kehren, befinden sich überproportional viele Nichtdeutsche. Der Ausländeranteil hat sich von 44,7 Prozent auf 42 Prozent verringert. Aber auch Jüngere verlassen das Gebiet. Fast 60 Prozent der Abwandernden, so Topos, sind in der Altersgruppe der 18- bis 27jährigen zu verzeichnen. Dies betreffe nicht nur viele erwachsene Kinder türkischer Herkunft, die nun einen eigenen Haushalt gründen, sondern auch junge Deutsche in der Ausbildung, die wegen der hohen Mieten inzwischen in Richtung Ostberliner Altbauquartiere tendierten. Die Studie, die das Bezirksamt Kreuzberg in Auftrag gegeben hat, wurde am Mittwoch abend von Bürgermeister Schulz vorgestellt.

„Die Fluktuation der Besserverdienenden“, kommentiert die bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig die Ergebnisse, „ist einer Armutsfluktuation gewichen.“ Vor allem die steigenden Mieten würden sich – bei gleichzeitigem Kaufkraftverlust – negativ auf die Lebensverhältnisse der Kreuzberger auswirken. In der Tat überstieg in Kreuzberg 36 nicht nur die Inflationsrate die geringfügige Erhöhung des Haushaltseinkommens von 2.600 auf 2.680 Mark. Auch die Mietbelastung ist deutlich gestiegen – von 21 Prozent des verfügbaren Haushaltseinkommens auf 27,9 Prozent. „Kreuzberg“, so Schulz, „ist der Bezirk mit den höchsten Mieten für schlechte Wohnungen.“

„Wenn wir die Mietentwicklung nicht in den Griff bekommen“, folgert auch die Abgeordnete der Grünen, Barbara Oesterheld, „werden andere Maßnahmen wie das Quartiersmanagement ohne Erfolg bleiben.“ Uwe Rada