■ Glücklicher Jürgen Kremb: Der „Spiegel“-Korrespondent in Peking wurde nur ausgewiesen. Kritische Chinesen landen hinter Gittern
: Herr Fischer, bleiben Sie dran!

Jürgen Kremb, der Pekinger Korrespondent des Spiegel, hat letzte Woche erlebt, was er immer befürchtet und gleichzeitig während seiner achtjährigen Reportertätigkeit in China auch immer erwartet hat: Beamte der Staatssicherheit drangen in sein Büro ein und behandelten ihn wie einen Kriminellen. Er ist aus China ausgewiesen worden; für die nächsten fünf Jahre darf er das Land nicht mehr betreten.

Ich habe kein Mitgefühl mit Kremb, der zufälligerweise ein guter Freund von mir ist. Er wußte immer um die Risiken, in einem totalitären Staat zu arbeiten. Letztlich wurde er lediglich mit Härte und Drohungen behandelt. Und ausgewiesen – von einem Land, das nicht sein eigenes ist. Wäre er chinesischer Bürger, würde die Welt nicht mitbekommen, was ihm zugestoßen ist, nachdem die Tür sich hinter den Geheimpolizisten geschlossen hätte. Krembs Ausweisung könnte ebenso als Kompliment für den kritischen Geist seiner Arbeit verstanden werden, und er könnte jetzt einfach mit Freunden ein Bier trinken. Aber wissen wir, wo der junge Mann in dem weißen Hemd geblieben ist, der einst auf dem Platz des Himmlischen Friedens einem Panzer entgegentrat? Wissen wir, daß dieselbe Institution, die die acht Agenten zur „Festnahme“ Krembs schickte, gerade angeordnet hat, die Hilfsfondszahlungen einzufrieren, die in Deutschland für die Opfer des Massakers 1989 gesammelt wurden? Wissen wir, was den Leuten passiert, die während der letzten zwei Monate die Gründung neuer Parteien beantragt haben und dafür verhaftet wurden? Menschen verschwinden. Wissen wir in der Welt da draußen, wer sie sind und wo sie sind?

Verglichen mit dem Schicksal der Chinesen, die das Recht auf Kritik in Anspruch nahmen, muß ich sagen: Kremb befindet sich im Paradies. Tränen sollte man nicht vergießen.

Die Regierung beharrt darauf, daß das materielle Überleben über dem Menschenrecht Meinungsfreiheit steht oder dieses sogar ausschließt, und verkauft das als „asiatische Werte“. Nicht jeder hat die Stärke eines Wei Jingsheng, der für seinen Glauben an die Demokratie 18 Jahre hinter Gittern verbüßte. Aber viele chinesische Intellektuelle arbeiten an verschiedenen gemäßigten Wegen, wie das System zu knacken sei. Dieselben Studenten, die 1989 eingesperrt wurden, eröffnen jetzt Buchhandelsketten, die Übersetzungen zum Liberalismus verkaufen; junge Professoren schreiben die verzerrte Geschichte um; Dichter bringen Untergrund- Poesie in Umlauf; ältere Verleger lassen kritische Manuskripte drucken und verteilen sie inoffiziell. Für diese Intellektuellen, die jeden Tag ihres Lebens mit der Angst zubringen, acht Polizisten könnten an ihre Tür klopfen, ist nichts begrüßenswerter als Joschka Fischers Worte im Spiegel: „Aber gerade die ökonomische Krise Asiens hat gezeigt, wie wichtig das Insistieren auf Menschenrechte ist. Das wird auch für das große China gelten. Sich nicht wegzuducken, wenn die Freiheitsfrage auf dem Tisch liegt, sondern sich ihr verpflichtet fühlen auch in Einzelfällen, das halte ich für dringend geboten.“ Hätten diese chinesischen Intellektuellen einen Schwesterstaat, wie es die Dissidenten der Ex-DDR in der BRD hatten, würden sie sich nicht so verlassen fühlen. Aber sie haben keinen. Taiwan ist ein freier Staat, jedoch ist er zu klein und moralisch zu schwach, um Unterstützung zu leisten. Die einzige Hoffnung für sie ist die internationale Aufmerksamkeit. Solange die Welt beobachtet und zuhört, haben sie weniger Angst, daß der Vorhang fällt und die Aufschreie erstickt.

Aber niemand erwartet von Fischer, daß er den Chinesen einen Gefallen tut, die unzufrieden mit den Zuständen sind. Für Freiheit muß man kämpfen, sie wird einem nicht geschenkt – weder vom gemeinen Unterdrücker noch vom gutmeinenden Außenseiter. Das Problem ergibt sich für die chinesischen Intellektuellen nur, wenn die westlichen Führer nicht für ihre eigenen Rechte eintreten. Sie sprechen laut über Demokratie und Menschenrechte als fundamentale Werte der westlichen Zivilisation, und doch: Sobald wirtschaftliche oder politische Interessen entgegenstehen, sind all diese moralischen Prinzipien plötzlich käuflich. Und selbst das ist in Ordnung. Wer sollte schließlich in dieser Welt, in der sich die Zentren ständig verlagern, noch erwarten, daß die westlichen Länder moralische Riesen sind? Aber es ist nicht in Ordnung, wenn die Welt China die UN- Charta, die den Bürgern politische Rechte garantiert, unterschreiben läßt und gleichzeitig erlaubt, daß China diese verletzt – und auch noch so tut, als sähe sie es nicht.

Es ist nicht in Ordnung aus einem sehr klaren Grund: Indem der Westen China Verträge unterschreiben oder an Dialogen teilnehmen läßt, gibt er der Pekinger Regierung die Legitimation und Autorität, die sie dringend benötigt, besonders nach den Morden 1989. Die Regierung stellt ihr Selbstvertrauen wieder her und sonnt sich in einer neuen, internationalen Anerkennung. Auch bietet der Westen statt Zuckerbrot und Peitsche bloß mehr Bonbons an – und verbiegt sich, um einem starrköpfigen China zu gefallen. Man muß sich darüber nicht wundern, wie das bei diesem Regime ankommt: Es wird noch selbstsicherer in der Kontrolle der rechtlosen Menschen.

Nichts ist schlimmer als eine erneute Isolation Chinas, weil das den Machthabern die Möglichkeit gibt, „den Hund hinter der verschlossenen Tür zu prügeln“ – wie ein chinesisches Sprichwort sagt. Aber wenn die Öffnung nicht einen heftigen Druck auf die chinesischen Machthaber ausübt, sich zivilisiert zu betragen, unterstützt diese Öffnung perverserweise die Diktatur. Und das ist nicht in Ordnung.

So, Jürgen Kremb ist also aus China ausgewiesen worden. Als Chinesin würde mich interessieren, wieviel Geld der Steuerzahler in die Limousinen und die Crew geflossen ist, die Kremb und Gott weiß wie viele andere Auslandkorrespondenten und Diplomaten beschatten. Und ich weine über das Schicksal der zahlreichen Chinesen, die mit Ausweisung bestraft wurden, was für sie entweder äußeres Exil in einem fremden Land oder inneres Exil im Gefängnis bedeutet. Sie haben nicht soviel Glück wie Kremb. Und Kremb wird angeklagt, weil er „Staatsgeheimnisse“ vom chinesischem Ministerium für Staatssicherheit „gestohlen" habe. Hat er oder hat er nicht? Finden Sie's heraus, Herr Fischer, und wenn er nicht hat, protestieren Sie, so laut sie können. Das nützt nicht nur Jürgen Kremb. Lung Yingtai

Aus dem Amerikanischen von Tina Hüttl