Kein Konsum, nirgendwo: Am heutigen "Kauf-Nix-Tag" sind die Deutschen dazu aufgerufen, für 24 Stunden die Börse ruhen lassen. Umweltschützer wollen so mitten im Weihnachtsgeschäft gegen die zerstörerischen Folgen des Konsums protestieren. D

Kein Konsum, nirgendwo: Am heutigen „Kauf-Nix-Tag“ sind die Deutschen dazu aufgerufen, für 24 Stunden die Börse ruhen lassen. Umweltschützer wollen so mitten im Weihnachtsgeschäft gegen die zerstörerischen Folgen des Konsums protestieren. Doch Verbraucherverbände sind skeptisch: Statt eines kurzfristigen Boykotts propagieren sie den „nachhaltigen Verbrauch“

Attacke gegen das Grundrecht auf Konsum

Für Kaufbegeisterte, die sich auf lustvolle Investitionen mit ihrem Weihnachtsgeld freuen, ist es eine Horrorvision: In den Kaufhäusern werden shoppingfreie Zonen ausgerufen; hoffnungslose Fälle von Kaufwut werden von „Überflußdoktoren“ kuriert; Läden, die „Kein Laden“ heißen, bedanken sich für das Nichtkaufen; Konsumenten zerschneiden öffentlich ihre Kreditkarten.

Was sich im letzten Jahr in zehn Ländern wie den USA, Großbritannien und den Niederlanden abspielte, droht heute auch in Deutschland. 1997 verweigerten nach Schätzungen der Organisatoren am „International Buy-Nothing-Day“ rund eine Million Menschen bewußt ihren Beitrag zum Bruttosozialprodukt. Von Umweltgruppen wie Greenpeace ermuntert, sollen sich nun zum ersten Mal auch deutsche VerbraucherInnen am „Kauf-Nix-Tag“ dem vorweihnachtlichen Run auf die Geschenke verweigern. Wenigstens für einen Tag.

Die Idee stammt von Werbefachmann Kalle Lasn, der seit sechs Jahren seine Konsumkritik über die Agentur Adbusters im kanadischen Vancouver betreibt. Neben konsumkritischen „Unzeigen“ wie dem „Joe Chemo“, die das Camel-Kamel Joe mit Lungenkrebs im Bett zeigte, propagiert er über das Internet (http://www.adbusters. org) seine Botschaft: „Nehmen Sie 24 Stunden frei vom Kaufrausch. Kaufen Sie einen ganzen Tag NICHTS. Und Sie werden merken, welchen Raum Konsum in unserem Leben einnimmt.“

Konsum ist überlebenswichtig und gleichzeitig Statussymbol der Wohlstandsgesellschaft: Seit Kriegsende sind die Ausgaben der Deutschen für die Anschaffung von Nudeln, Kühlschrank und Familienauto fast kontinuierlich gestiegen und liegen inzwischen bei über einer Billion Mark im Jahr. Über zehn Millionen Deutsche gelten nach Umfragen als „Luxuskonsumenten“. Daher ist der erste deutsche „Kauf-Nix-Tag“ ein kleiner Anschlag auf das nachfrageorientierte Glaubensbekenntnis von Finanzminister Oskar Lafontaine (SPD). Der wird nicht müde zu betonen, das Ziel der rot-grünen Bundesregierung sei es, „die Familien zu entlasten und den Konsum wieder anzufachen“. Doch die Gleichung „Mehr Konsum gleich mehr Wohlstand“ widerspricht dem Koalitionsvertrag. Der nämlich legt fest, daß sich die „ökologische Modernisierung“ der Gesellschaft „am Leitbild der Nachhaltigkeit orientiert“.

Von einer solchen Ausrichtung an sozialen und ökologischen Kriterien sind Produktion und Verbrauch von Waren allerdings weit entfernt. Zwar gebe es eine stärkere Nachfrage nach ökologisch und ethisch korrekt produzierten und gehandelten Produkten, heißt es etwa etwa vom Institut für Markt-Umwelt-Gesellschaft in Hannover. Doch einen deutlichen Trend zu mehr Verantwortungsbewußtsein beim Konsum kann man dort nicht erkennen. Der Drang nach einzigartigen Geschenken laufe dem Trend zum verantwortungsvollen Shoppen entgegen.

Daß die jetzige Form des Konsumierens in die Sackgasse führt, gibt es von vielen Seiten schriftlich. So befand etwa die Enquete-Kommission des Bundestags in ihrem Bericht „Schutz des Menschen und der Umwelt“, daß die Industrieländer sich auf Einschränkungen einrichten müßten. Neben effizienterer Energienutzung „ist auf der Nachfrageseite ein verändertes Konsumverhalten erforderlich“, heißt es. Auch die Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“, vom BUND und Misereor herausgegeben, propagierte „Gut leben statt viel haben“: In der Überflußgesellschaft stünden „Waschmaschinen, Autos, Rasenmäher und Skiausrüstungen den größten Teil ihrer Lebenszeit nutzlos herum“. Das Umweltbundesamt (UBA) moniert, aus dem höheren Lebensstandard resultieren „ein nicht mehr tragbarer Ressourcenverbrauch und zahlreiche Umweltbelastungen“. Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung sei „die Veränderung der Konsumgewohnheiten, besonders in den Industrieländern“.

„40 Prozent der Umweltprobleme lassen sich auf den privaten Konsum zurückführen“, sagt UBA-Experte Harald Neitzel. Von einem plakativen Konsumverzicht durch den „Kauf-Nix- Tag“ hält er ebensowenig wie etwa die Arbeitsgemeinschaft der deutschen Verbraucherverbände. Das UBA setzt auf „nachhaltigen Konsum“. Man müsse Alternativen aufzeigen, „in denen sich ökonomischer und ökologischer Nutzen verbinden lassen“, so Neitzel: So spare etwa das Abschalten der Stand-by-Schaltungen an TV-Geräten und Hi-Fi-Anlagen 10 Prozent an Strom und Kosten – ohne schmerzhaften Konsumverzicht. Die „miesepetrige“ Art, Verzicht zu predigen, kommt nach Neitzels Ansicht bei der Bevölkerung nicht an – eine Erfahrung, die etwa die Bündnisgrünen mit ihrem „Fünf Mark pro Liter Benzin“-Beschluß machten. Selbstbeschränkung aber klingt für den Münchner Physiker Hans Peter Dürr, „schlimmer, als sie ist“: Sie verlange nur den Lebensstil eines „Durchschnittsschweizers von 1969“.

Die Adbusters-Kampagne des letzten Jahres, die in einem Zeichentrickfilm ein rülpsendes Schwein darüber sinnieren ließ, daß ein US-Bürger 30mal soviel Energie verbraucht wie ein Inder, wurde von den meisten TV-Stationen boykottiert. Der Buy-Nothing-Day widersetze sich der „aktuellen ökonomischen Politik der USA“. Auch die deutschen Verbraucher- und Umweltschützer finden den „Kauf-Nix-Tag“ zwar eine „witzige Idee“, raten lieber zu bewußtem Verbrauch als zum Boykott: „Sonst kaufen die Leute zwar am Freitag nichts, dafür aber am Samstag um so mehr“, befürchtet Neitzel. Bernhard Pötter