Der trommelnde Liedermacher

Phil Collins ist einer der erfolgreichsten Popmusiker. Seine Laufbahn begann der Brite als Schauspieler, ehe er bei der Bombastgruppe „Genesis“ zunächst als Percussionist, dann als Sänger reüssierte. Inzwischen bevorzugt er eine reine Solokarriere. Über den Musiker, den die Kritiker zu hassen lieben  ■ Jan Feddersen

Kürzlich veröffentlichte er eine neue Platte, seine neunte als Solist. Frisches Material enthält sie freilich kaum. Nur einen Song hat er eigens für diese Compilation aufgenommen: „True Colors“. Kritiker reagierten erwartungsgemäß – verschnupft. Eine Unverschämtheit, hieß es. Gerade an Cyndi Laupers Klassiker hätte er sich nicht vergreifen dürfen. Phil Collins, dem dieser Verriß galt, muß diese Reaktionen geahnt haben. Warum sonst hätte er mit schönem Understatement diese jüngste CD sehr schlicht „...Hits“ nennen sollen?

Denn die Sammlung birgt nichts weiter als alle Songs, die, zumindest in der weißen Welt, mehr als nur Hits waren, nämlich Chartführer – ob nun „Against All Odds“, „One More Night“, „You Can't Hurry Love“, „A Groovy Kind Of Love“, „Take Me Home“ oder „Sussidio“. Sämtlich Lieder, die für alle Herzenszustände passend wirken, ob nun als Begleitung vor dem ersten Rendezvous oder als Untermalung schwerster Beziehungskrisen.

Doch woran liegt es, daß der britische New Musical Express Anfang des Jahres zu einer Unterschriftensammlung aufrief, um zu verhindern, daß Collins den englischen Fußball-WM-Song schreibt? Woher rührt die seltsame Aversion, daß in den USA Radiostationen während der achtziger Jahre mit „Phil-Collins-freien Wochen“ um Hörer warben?

Seltsamer noch: Weshalb wurden die Collins-Hasser nicht mit einer Flut von Boykottaufrufen, von Protesten und Empörungsaktionen eines Widerständigen belehrt? Wären die Beatles so geschmäht worden... Anders gesagt: Hat Collins überhaupt Fans? Er muß. Er hat Platten in zweistelliger Millionenhöhe verkauft; seine Songs werden allein von der deutschen Musiktantiemengesellschaft jährlich mit so viel Geld alimentiert, daß sich sehr entspannt davon leben ließe.

Und doch, die Liebe versteckt sich offenbar. So drastisch, daß in Collins' Konzerten keine rechte Feierlichkeit aufkommen will. Ein Auftritt ist wie der andere, wohltemperiert. Vielleicht ist das die Crux: Collins' Tun wirkt auf der Bühne perfekt, zu perfekt. Clean und klinisch. So merkt man seiner Show an, daß der Mann ein penibler Mensch ist, der selbst beim zwölften Auftritt auf einer Tournee noch den fünften Soundcheck überwacht, auf daß es bloß nicht zu live klingt.

Collins hat in seinem Fach alles erreicht. Muß nicht mehr selbst anrufen, um prominente Kollegen – wie Eric Clapton oder David Crosby – produzieren zu dürfen; braucht gewiß kein Gnadenbrot in zweitklassigen Bands zu kauen; und muß an persönliche Armut selbst in theoretischer Hinsicht nicht denken.

Der Mann war einfach fleißig. Er hat in den sechziger Jahren mit eiserner Disziplin Schauspielern gelernt, zugleich aber seine Leidenschaft, das Trommeln und Schlegeln, trainiert. War schließlich so gut, daß einer wie Peter Gabriel um ihn nicht herumkam, als der Job des Percussionisten bei „Genesis“ neu zu besetzen war.

Zwar paßte Collins, ein Kind von aufstiegsorientierten Eltern, nicht so recht in die gehobene Intellektuellenszene um Gabriel und Mike Rutherford, aber er wußte – so steht es in Ray Colemans Collins-Biographie –, daß die Jahre mit der Gruppe mindestens eine wunderbare Lehrzeit für ihn sein würden. Denn die Art, wie „Genesis“ vor dem Einstand von Phil Collins Popmusik begriff, hatte nichts mit dem zu schaffen, wohin Collins' Sinn ging: Musik, nichts als Musik, mehr Motown und Easy Listening als Rock'n' Roll und Heavy Metal – bloß keine kopflastigen Konzeptalben. Collins mochte pompöse Inszenierungen um ihrer selbst willen nie: Dafür stand er mehr auf Privates, auf Selbsterfahrung.

Doch erst 1980 wußte Collins seine Erfahrungen als Frontmann bei „Genesis“ für Soloproduktionen zu nutzen. Nach der Trennung von seiner ersten Frau schrieb er sich den Kummer von der Seele. Resultat: die Platte „Face Value“. Ein schwermütiges Album voller liedermacherischer Anklagen und chansonartiger Texte. Es klang gut, und seinem Publikum erschien es, als ob ein Kumpel davon erzählt, wie er nur schwer mit einer Trennung fertig wird. Die New York Times erkannte in seinen Songs „eine Stimmung mit nahenden Verhängnissen und der Ahnung einer Leidenschaft“, kurz: „die Antwort der Popmusik auf Alfred Hitchcock“.

Sein Aufstieg wollte schließlich kein Ende nehmen. Geld spielte zunehmend eine dienende Rolle, und „Genesis“ mehr und mehr nur einen Nebenpart. Und schließlich wurde er selbst zum Superstar. Und seine Fans? Nie gesehen. Aber: Die Konzertsäle voll, doch kein Gekreisch vor den Eingängen, keine auf die Bühne geworfene Unterwäsche; nicht einmal jemand, der am Hinterausgang um ein schönes Autogrammen bittet. Groupies? Nicht überliefert.

Rätselhaft, wo Collins doch im Gegensatz zu Mick Jagger wirklich Sexappeal hat. Und doch: ein Weltstar ohne Verehrung. Liegt es daran, daß der Mann nie wirklich hat leiden müssen? Alles lief wie am Schnürchen. Bis heute kein Song, der sich übelnehmen ließe, keine Pannen, künstlerisch gesehen. Daß er keine avantgardistischen Kabinettstückchen liefert, ist ihm egal. Als Drummer gehört er zur Weltspitze, das reicht ihm. Seine Gastspiele in Big Bands waren allerdings Mißerfolge – das Publikum forderte am Ende doch bloß Zugaben seiner Solohits.

Was wahre Hingabe wohl unmöglich macht, ist Collins Unfähigkeit, bei aller Kumpeligkeit auch Nähe fühlbar zu machen. Er hinterläßt den Eindruck eines gewieften Handwerkers, dem man vertrauen möchte. Deshalb gelingt es ihm auch, jeden Eindruck von Genialität im Ansatz zu zerstreuen. Ein ehrlicher Arbeiter, ein sauberer Liedermacher. Es ist nicht schwer, ihn zu mögen. Sofern man nicht weiß, was sein Biograph Coleman berichtet, nämlich, daß Phil Collins seine Gäste morgens um sechs Uhr staubsaugend zu wecken vermag, weil er Krümel auf dem Küchenboden nicht ertragen kann.

Oder daß er an Freunde gerne Geld verleiht, es aber nicht versäumt, die Summe akkurat in ein kleines Büchlein einzutragen. Und daß er seinen Kollegen kaum die Pausenzeiten gönnt, ehe nicht der letzte Take aufgenommen wurde. Collins ist einer, der nie die Gelassenheit hatte, etwas falsch machen zu dürfen. Und der Irrtümer scheut wie jedes Risiko – aus Angst, daß dann erkannt würde, wie schwer ihm der Aufstieg zum Wohlstand fiel.

Collins, ein kleinbürgerlicher Charakterterrier, der nicht eher zu wüten aufhört, bis auch die letzte Unwägbarkeit – egal wobei – getilgt ist. Ein Arbeiter an echten Gefühlen, also einer, der es wenigstens einmal probieren mußte, nicht nur rührselig, sondern auch rührend zu sein. Wie in „Face Value“. Aber danach geriet alles zur Konfektion. Brillante Ware von der Stange, aber nichts für ein großes Fest.

Er hat ja sowieso nicht mehr den Biß von einst. Aber sind Oldies wie „Against All Odds“ oder „Take Me Home“ eine Schande? Das Publikum, meist Angestellte mit nur geringer Neigung zum Experimentellen, dankt Collins. In ihm erkennt es sich. Ihr Held singt davon, wie es ist, anständig über die Runden zu kommen, ohne an Langeweile zu sterben. Das verdient ganz gewiß stillen Respekt.

Jan Feddersen, 41, Redakteur im taz.mag, schreibt vorwiegend über Eine-Welt-Themen (Konsum, Pop, Sex)