Horror aus Kalkül

Wo andere „Cut!“ riefen, hielt er drauf: Lucio Fulci, Italo-Chef in Sachen Angstmachen  ■ Von Oliver Rohlf

Eigentlich sah Lucio Fulci aus, als wäre er von Beruf Schuldirektor. Graue Haare, Vollbart, Brille. Immer im Anzug plus Krawatte. Ein Outfit, das Vertrauen einflößt und Kompetenz signalisiert. Doch der Herr verdiente sein Geld nicht damit, daß er andere Menschen von ihren Sorgen befreite, eher das Gegenteil war der Fall. Der Italiener war Chef im Angstmachen. In den frühen Achtzigern zählte der gebürtige Römer weltweit zu den gefürchtetsten Horror-Regisseuren. Vielleicht dämmert es den LeserInnen bei vollmundigen Titeln wie Ein Zombie hing am Glockenseil oder Über dem Jenseits. Das waren Fulci-Filme: Mensch versus Wiedergänger, hart und weit über die Schmerzgrenze explizit.

Es gibt Leute, die meinen, der größte Schrecken brauche keine visuelle Ausreizung, sondern fände ausschließlich im Kopf statt. „Quatschkram!“ hätte Fulci erwidert. Horror ist keine Sache der Phantasie, sondern des Kalküls. Das Grauen funktioniert nach den immer gleichen Prinzipien. Wer gesehen hat, wie Fulcis Kreaturen zu Werke gehen, weiß, daß die Handlungen zwar simpel, die Tabus des Darstellbaren dafür gen Null gehen. Wo andere „Cut!“ riefen, hielt Fulci drauf. Mehr noch: Er zoomte ran, schaltete auf Close up. Terror ist hier eine Frage der unmittelbaren Nähe zwischen Akteur und Zuschauer. Aus filmhistorischer Sicht dient hier das fiktive Bild als Baustelle für die ultimative Erfahrung.

Mehr geht nicht. Fürwahr: Seit der Zombie-, Slasher- und Kannibalen-Flut Ende der Siebziger haben es herkömmliche Horror-Filme schwer, sich allein durch den phantastischen Schockeffekt zu legitimieren. Einer, dem dies noch gelang, war Clive Barker mit seinen beiden Hellraiser-Werken, den vielleicht letzten ernsthaften Horror-Filmen. Die heute akzeptierte Auflösung von Phantastik durch Humor war damals noch verpönt. Fulci, dem bekennenden Katholiken, war angesichts des Bösen nicht zum Lachen zumute. Seine Radikalität ist insofern erstaunlich, als er vergleichsweise spät zum Horror-Geschäft dazustieß. Don't Torture A Duckling, seinen ersten richtigen Horror-Film, drehte Fulci 1972, also erst mit 45 Jahren.

Er ist kein juveniler Triebtäter wie Sam Raimi oder Jörg Buttgereit, sondern ein Mann mit ökonomischem Talent. Als George A. Romero Ende der Siebziger mit Dawn Of The Dead weltweite Erfolge einsackte, dreht Fulci einfach – nicht-authorisiert – das Sequel und nannte es Zombie 2. Eine gängige und von Erfolg gekrönte Vorgehensweise – die Amerikaner machen's vor, die Italiener nach, nur billiger. Der größte Teil des Budgets ging nicht für Gagen, Settings oder Drehbücher drauf, sondern für die Special Effects. Das impliziert natürlich etliche Schwächen, von denen auch Fulcis Streifen nicht frei sind. Vielleicht der einzige Weg, Abstand vom Grauen zu bekommen, denn sonst sähe es finster aus.

morgen, 23 Uhr: „City of the Living Dead“, 1 Uhr: „The Beyond“, 3 Uhr: Überraschungsfilm, Magazin. Fulcis Tochter Antonella sowie Catriona MacColl, Hauptdarstellerin diverser Fulci-Filme, werden jeweils Einführungen geben.