Ein neuer „stiller Star“ für die Reaktorsicherheit

■ Der kritische Atomwissenschaftler Lothar Hahn vom Öko-Institut soll Geschäftsführer der GRS werden. Die Bundesregierung strebt Neubesetzung auch aller anderen „atomaren“ Gremien an

Darmstadt (taz) – Der 1944 in St. Vith in Belgien geborene deutsche Physiker Lothar Hahn vom linksalternativen Öko-Institut in Darmstadt ist ein „stiller Star“, (noch) ohne Nobelpreis, dafür aber bald in einer Position mit Reputation. Der alternative Wissenschaftler soll Geschäftsführer der renommierten Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) werden.

Die GRS mit Sitz in Köln, an der die Bundesrepublik Deutschland, die Bundesländer Bayern und NRW und diverse Technische Überwachungsvereine (TÜV) beteiligt sind, erstellt Gutachten für die Betreiber und die Erbauer atomtechnischer Anlagen und Kraftwerke. Und die GRS berät die Bundesregierung bei der „Richtlinienerstellung“ im Nuklearbereich.

Lothar Hahn ist die Personifizierung des Wechsels auf der Ebene der ZuarbeiterInnen für die neue Bundesregierung. Paritätisch will Bundesumweltminister Jürgen Trittin die „atomaren“ Gremien im Verlauf noch dieser Legislaturperiode besetzen.

Einige der „unkritischen“ Wissenschaftler, die etwa nach dem GAU in Tschernobyl einen radioaktiven Fallout „im Umkreis von 25 Kilometern um den Reaktor“ (GRS) prognostizierten, haben deshalb die „Reise nach Jerusalem“ anzutreten. Und auf den frei werdenden Stühlen nehmen dann Lothar Hahn und sein Kollege aus dem Öko-Institut, Michael Sailer, der Strahlenbiologe Wolfgang Köhnlein, der Nuklearmediziner Edmund Lengfelder und andere Platz.

Auch die alternativen Wissenschaftler haben den langen Marsch durch die Institutionen offenbar hinter sich. „Daß der Atomausstieg einmal zur Programmatik einer Bundesregierung gehören würde, haben wir vor 20 Jahren noch nicht einmal zu träumen gewagt“, sagt Hahn heute. Triumphgefühle verkneift er sich. Der Paradigmenwechsel „von der betreiberfreundlichen zur sicherheitsorientierten Beurteilung atomarer Anlagen und Reaktoren“ in den Gremien könne nicht sofort vollzogen werden.

Neben Sachverstand und Verhandlungsgeschick werde deshalb Geduld und Zähigkeit bei der täglichen Arbeit gebraucht. Hahn: „Darin habe ich Übung.“ Im Institut hätten er und Sailer schon dickere Bretter gebohrt, etwa in Hanau. „Und am Ende haben wir – und unsere Auftraggeber – gewonnen.“ Die Uran- und Plutoniumfabriken in Hanau, die Meiler in Biblis. Und Reaktoren und Anlagen auch außerhalb von Hessen: Lothar Hahn war überall dabei. Als kritischer Gutachter zunächst für Bürgerinitiativen und Kommunen; und dann auch für Landesregierungen, vor allem für die hessische.

Es gab viel zu tun für die Atomspezialisten aus dem Institut schon in der ersten rot-grünen Regierungszeit (1985 bis 1987) unter Börner und Fischer, die mit einem Knall endete. Der Wirtschaftsminister der Sozialdemokraten, Ulrich Steeger, hatte der Plutoniumfabrik Alkem die beantragte Erhöhung der Durchsatzmenge genehmigt. Ein klarer Verstoß gegen den Koalitionsvertrag.

Lothar Hahn hatte die Artikel zur Atom- und Plutoniumwirtschaft in diesem Koalitionsvertrag mit ausgearbeitet: als Schlagmann im sogenannten Doppelvierer. Ein „Boot“, das von je vier von SPD und Grünen bestellten Wissenschaftlern über die Ziellinie gerudert worden war: „Die Plutoniumwirtschaft hat in Hessen keine Zukunft mehr.“ „Steeger torpedierte dann mit seiner Genehmigung den Doppelvierer“, erinnert sich Hahn. Da sei der ganze Koalitionsdampfer auf Grund gelaufen.

Dann kam die „Durststrecke“ in der Ära Wallmann (CDU), in der Hahn genug Zeit hatte, afrikanische Musik zu hören und auf dem Donnersberg zu joggen. Ab 1991 waren die Wissenschaftler aus dem Institut dann wieder die Ober- und Lieblingsgutachter der hessischen Landesregierungen unter Ministerpräsident Hans Eichel (SPD).

Jetzt werden sie Verantwortung auf Bundesebene übernehmen: Hahn in der GRS. Und Sailer wohl in „zentraler Rolle“ in der Reaktorsicherheitskommission der Bundesregierung. Das sei „alles noch nicht spruchreif, auch wenn es schon im Spiegel stand“, weist Hahn vorschnelle Gratulanten ab. Hahn lächelt dabei, und Sailer grinst breit. Verweigern werde er sich einem „eventuellen Ruf“ von Umweltminister Trittin nicht, sagt Hahn. Schließlich bekomme man nicht alle Tage eine „Schlüsselposition in der nuklearen Community“ offeriert. Klaus-Peter Klingelschmitt