Der kurdische PKK-Führer Abdullah Öcalan muß vor Gericht: Soweit sind sich alle einig. Aber vor welches? Deutschland nimmt ihn nicht, die Türkei kriegt ihn nicht. Ein europäischer Gerichtshof soll die Lösung sein. Doch dessen Einrichtung is

Der kurdische PKK-Führer Abdullah Öcalan muß vor Gericht: Soweit sind sich alle einig. Aber vor welches? Deutschland nimmt ihn nicht, die Türkei kriegt ihn nicht. Ein europäischer Gerichtshof soll die Lösung sein. Doch dessen Einrichtung ist wohl nichts weiter als eine Illusion

Staatsräson vor Rechtsstaatlichkeit

So problematisch wie der Fall Abdullah Öcalan derzeit in Bonn eingestuft wird, so problematisch sind auch die dort diskutierten Lösungsmöglichkeiten.

Einig sind sich die Bonner Koalitionäre in ihrer Haltung, daß sie den Kurdenführer keinesfalls in die Bundesrepublik überstellt sehen wollen. „Für den Schutz des Rechtsfriedens“ habe man sich gegen ein Auslieferungsersuchen entschieden, so Kanzler Schröder gestern. „Es könnte zu schweren Unruhen unter kurdischen Bürgern in Deutschland kommen, nicht nur unter militanten Anhängern, sondern auch unter den hier friedlich Lebenden“, sieht die Staatssekretärin im Innenministerium, Cornelie Sonntag-Wolgast, den inneren Frieden gefährdet. Übergeordnete politische Interessen sind es also, warum ein Auslieferungsersuchen an die italienische Justiz trotz des jüngst erweiterten Haftbefehls der Bundesanwaltschaft nicht in Frage kommt.

Asyl oder Straffreiheit für den 49jährigen Öcalan will im Gegenzug aber auch niemand das Wort reden. Auch soll die italienische Regierung nicht verprellt werden, hat sie doch den PKK-Chef erst aufgrund des deutschen Haftbefehls unter Hausarrest gestellt. Und so kursiert am Rhein so manches kreative Modell, wie die Malaise jetzt gelöst werden könnte. Das phantasievolle Stichwort heißt internationale Lösung.

So votiert die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, Claudia Roth (Bündnisgrüne), aus rechtsstaatlichen Erwägungen gegen eine Auslieferung Öcalans. Sie möchte den Konflikt zwischen der kurdischen Arbeiterpartei PKK und dem türkischen Staat am liebsten nach dem Vorbild der südafrikanischen Wahrheitskommission behandelt sehen. „Daß sich Öcalan nun in der Europäischen Union befindet, ist eine Chance für die Türkei, sich mit den Kurden an einen Tisch zu setzen und diesen Krieg zu beenden“, meint sie.

Einen europäischen Gerichtshof für Öcalan empfahl gestern der Bundeskanzler nach seinem Treffen mit dem italienischen Ministerpräsidenten D'Alema. Für eine internationale Lösung sprach sich auch Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) aus. Öcalan könne in Italien vor ein internationales Tribunal gebracht werden. Und dieses, so Schily, könne sogar ad hoc geschaffen werden, wenn es eine entsprechende Entscheidung der Vereinten Nation gebe. Für den Bundesinnenminister wäre das eine „ideale Lösung“ – so unwahrscheinlich sie auch ist.

Alle Modelle sind recht – solange sie nur sicherstellen, daß der PKK-Chef nicht in die Bundesrepublik kommt. Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin hat unter bestimmten Bedingungen auch nichts gegen ein Verfahren in der Türkei. Ein Prozeß ginge „auch in Italien und in der Türkei, wenn dort die Todesstrafe abgeschafft wird“.

Ankara bereitet weiterhin einen offiziellen Antrag auf die Auslieferung Öcalans vor. Justizminister Hasan Denizkurdu erklärte, die Dossiers mit Belegen zur Begründung des Antrags würden vermutlich in der nächsten Woche Italien übergeben. Darin werde auch auf die Pläne hingewiesen, die Todesstrafe abzuschaffen. Diese war von Italien als Hauptgrund gegen die Auslieferung Öcalans eingewandt worden. Öcalan soll wegen „Verbrechen gegen die Menschenlichkeit“ vor Gericht gestellt werden. Die Auslieferung werde wegen „Terrorismus und Rauschgiftschmuggels“ beantragt.

Unterdessen ist in Rom ein Streit um die Rolle der italienischen Sicherheitsdienste im Fall Öcalan entbrannt. Nach den Worten von Regierungschef D'Alema hatte die italienische Regierung vor etlichen Wochen von Ankara Hinweise erhalten, wonach die Ankunft Öcalans „wahrscheinlich bevorsteht“.

Die alarmierten Sicherheitsdienste hätten die Regierung jedoch nicht informiert. D'Alema zufolge wußte die Regierung in Rom nicht, daß der kommunistische Abgeordnete Ramon Mantovani Öcalan am 12. November auf dem Flug von Moskau nach Rom begleitete.

Abdullah Öcalan ist nach eigenen Worten Anfang Oktober vom israelischen Geheimdienst Mossad in Moskau aufgespürt worden. Das sagte er in seinem ersten Interview nach seiner Freilassung durch die italienischen Behörden. Nach seinen Worten hat Öcalan die syrische Hauptstadt Damaskus Anfang Oktober wegen eines drohenden türkischen Angriffs verlassen. Am 7. Oktober habe er sich an die russischen Behörden mit der Bitte um ein Einreisevisum gewandt. Die Lage habe sich aber so schnell zugespitzt, daß er eine Antwort nicht habe abwarten können. Statt dessen sei er mit einem gefälschten Paß gereist – unter dem Namen Abdullah Sarokurd („Kurdenführer“). Wolfgang Gast, Bonn