Keine Beweise für Kapitalflucht

Flieht das Kapital vor den rot-grünen Steuerplänen? Viele Gründe sprechen nicht dafür. Auch wenn es Hochverdiener und Anleger künftig etwas schwerer haben  ■ Von Hermannus Pfeiffer

Hamburg (taz) – „Kapital ist flüssiger als Wasser“, wußte schon Karl Marx, und kaum kommt eine rot-grüne Regierung an die Macht, greift die Wirtschaftspresse den Spruch auf. Von einer drohenden Kapitalflucht angesichts von Rot- Grün ist die Rede. Dies behauptet beispielsweise die FAZ. Bisher gibt es dafür noch keinen Beweis.

Reiche und Unternehmen sind von der Regierung Kohl allerdings verwöhnt worden. Gemessen an ihren Gewinnen, zahlen die Konzerne immer weniger Steuern: So sank die Gewinnsteuerquote seit 1980 von fast 40 Prozent auf unter 25 Prozent. Von 100 Mark Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen landen keine 25 Mark im Staatssäckel, ermittelte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Und die Steuerzahlungen der privaten Bestverdiener ermäßigten sich zwischen 1993 und 1997 von 34 auf müde 11 Milliarden Mark. Im Endeffekt liegt Deutschland bei Steuern und Sozialabgaben unter dem EU-Schnitt, berechnete die Europäische Kommission.

Steuerkünstler haben es künftig schwerer: Die Sonderabschreibungen für Immobilien im Osten wurden zum Teil abgeschafft, Geldanlagen in Flugzeug- und Schiffsfonds lohnen sich künftig kaum noch. Kommt die Steuerreform wie geplant, dürfen Kapitalanleger künftig nicht mehr 6.000 Mark an Zinseinkünften steuerfrei kassieren, sondern nur noch 3.000 Mark. Die Spekulationsfrist, innerhalb derer Gewinne am Aktienmarkt steuerfrei werden, soll von sechs Monaten auf ein Jahr hochgesetzt werden. Die Verrechnung von Unternehmensgewinnen mit anderweitigen Verlusten soll erschwert werden. Und die Fristen für steuerfreie Gewinne aus dem Verkauf von Immobilien werden künftig wohl verlängert. Ein paar Gründe mehr, möglicherweise ein paar 100.000 Mark Privatvermögen ins Ausland zu schaffen.

Daß jetzt wirklich eine Massenflucht losgeht, ist jedoch nicht zu erwarten. Ein Sprecher der Bundesbank hört aus den regierungskritischen Artikeln in der Wirtschaftspresse eher ein „Pfeifen im Walde“ heraus. Schließlich sähen die Kauflust an den deutschen Börsen und die steigenden Aktienkurse hierzulande nach allem anderen als nach einer Kapital- Fluchtwelle aus, meint die Bundesbank.

So schlecht geht es dem Kapital und seinen Besitzern in Deutschland denn auch gar nicht. Für Zinseinnahmen jenseits der Freibeträge gilt, daß die häufig kritisierte Kapitalertragssteuer mit anderen Erträgen im Einkommensteuerausgleich verrechnet werden kann. Nach diesem „Ausgleich“ mit sogenannten Verlustzuweisungen, Sonderabschreibungen oder Steuerbefreiungen für Kursgewinne klingeln die Bonner Steuerkassen bislang nur leise, und es ist fraglich, ob die Steuerreform daran viel ändern wird.

1997 flossen gerade mal 25 Milliarden Mark an Kapitalertragssteuern nach Bonn – ein mickriger Betrag angesichts von 3,4 Billionen Mark Einlagen, die Unternehmen, Organisationen und Privatpersonen bei hiesigen Banken horten. Den 25 Milliarden Mark Kapitalsteuern steht das Zehnfache an Lohnsteuern gegenüber.

Außerdem stellt sich die drängende Frage: Wo will es hin, das Kapital? Liebste Fluchtländer waren schon immer Luxemburg und die Schweiz. Aber die Kontrollen an den Grenzen und bei hiesigen Banken werden schärfer.

Wenn heute nicht deklariertes Vermögen in die Schweiz oder anderswohin verschoben wird, sollte dies stets in bar geschehen, empfehlen Schweizer Banken laut FAZ vorsorglich. Jeder Briefverkehr sei zu unterlassen, um den „gefährlichen Luxemburg-Effekt“ zu vermeiden: Die deutsche Steuerfahndung ermittelt gegen fast alle deutschen Kreditinstitute von Rang wegen der Beihilfe zur Steuerhinterziehung gen Luxemburg. Die Mittelreichen also werden kaum fliehen. Und die Superreichen haben sich schon in der Kohl- Ära international steuerbequem eingerichtet.