Kritische Atom-Schiedsrichter

■ Das „Physikerbüro“ überprüft das Gutachten von Inge Schmitz-Feuerhake

rgendwann in dieser Woche bekommen die drei Gutachter des Bremer „Physikerbüros“ hohen Besuch in ihrem kleinen Viertel-Haus. Atomexperten vom Technischen Überwachungs-Verein (TÜV) und vom Öko-Institut Darmstadt haben sich angekündigt, um am Konferenztisch mit den drei Physikern zu beraten, wie das umstrittene Plutonium-Gutachten der Bremer Physikerin Inge Schmitz-Feuerhake überprüft werden könnte (wir berichteten). Die drei Institute wurden von der schleswig-holsteinischen Landesregierung gebeten, die Aussagen des Gutachtens unter die Lupe zu nehmen.

Für das Physikerbüro kommt der Auftrag zum rechten Zeitpunkt. Das Gutachter-Geschäft läuft für die drei Außenseiter eher mau. Seit Dezember 1984 gibt es das Bremer Büro, von den Gründern ist nur noch Richard Donderer dabei. Spezialisiert sind die diplomierten Physiker auf Reaktorsicherheit, klassische Störfallanalyse. Wenn sie gerufen werden, gehen sie in Atomkraftwerke wie Krümmel, Phillipsburg oder Stade, schauen sich Rohre und Genehmigungsprotokolle an und suchen nach Schwachstellen im System.

„Klassischerweise macht das immer noch der TÜV“, sagt Donderer, „wir sind ein kleiner Verein.“ Einen halben Fuß haben sie im Lauf der Jahre in die Tür bekommen. Doch der Markt wird von Gutachter-Büros „überschwemmt“, sagt Heiko Ziggel. Seit keine neuen AKWs mehr gebaut werden, verlassen immer wieder einzelne Ingenieure den TÜV und machen sich selbstständig. „Ob die uns Konkurrenz machen?“ Ziggel stellt die Frage um: „Können wir denen Konkurrenz machen? Denn diese Leute nehmen ihre guten Kontakte mit in die Selbstständigkeit“.

Ihre Kunden sind folgerichtig die rot-grünen Landesregierungen in Schleswig-Holstein, Hessen, Niedersachsen, manchmal das Bonner Forschungs- oder Umweltminiusterium. Jetzt kommt auch noch Brüssel dazu. Das Physikerbüro hat ein atomkritisches Image. Manchmal leiden die Wissenschaftler darunter.

Und daran, daß sie in Bremen sitzen, wo sie studiert haben. Da können sie noch so oft betonen, daß sie mit Schmitz-Feuerhakes Thesen nicht einfach konform gehen. „Da wird so etwas wie Sippenhaft verhängt“, erklärt Otfried Schumacher. ,Jaja, die Bremer', heißt es dann zuweilen, und gedacht wird an Inkompetenz, Befangenheit, Klüngel. „Es hat gedauert, bis wir nicht mehr automatisch mit Schmitz-Feuerhake in Verbindung gebracht wurden.“

Systemkritisch wollen sie bleiben, auch wenn das nicht der beste Weg ist, um an lukrative Aufträge heranzukommen. „Wenn die Betreiber zu TÜV-Gutachtern sagen, daß eine Tür nicht geöffnet werden darf, dann geht der TÜV davon aus, daß die Tür nicht geöffnet wird“, sagt Ziggel. Das Physikerbüro bemängelt die subjektiven Bewertungen in vielen Atom-Gutachten, präsentiert als wissenschaftlich ununstößlich. „Halbgare Aussagen haben viel zu viel Bedeutung in dem Geschäft“, sagt Donderer.

„Weil die Technik legitimiert werden mußte, ist das im Lauf der Jahre so gewachsen“, meint Ziggel. Entstanden sei eine „Loge“ von Gutachtern. Auf die Unterlagen der Betreiber bleiben sie angewiesen. „Der Informationsfluß ist nicht offen“, bemängeln sie, und verknüpfen damit ihre Erwartungen an die neue Bundesregierung. Weniger „streng vertrauliche“ Gutachten, mehr Transparenz könnten nur politisch erreicht werden. Ob sich nach dem Wechsel viel ändern wird? Die drei bleiben skeptisch.

Wie das Schmitz-Feuerhake-Gutachten jetzt von mehreren Gutachtern überprüft wird, das halten sie für ein gutes Beispiel, wie es in Zukunft laufen könnte. Natürlich nicht ganz uneigennützig. Und verschiedene Meinungen beleben das Geschäft. Als Physiker wissen sie, daß ihnen auch mit streng wissenschaftlicher Argumentation viel Interpretationsspielraum bleibt. Eines ihrer Motti hängt an einer Pinnwand: „Schießen Sie links und rechts an einer Sau vorbei – statistisch gesehen, ist die Sau tot!“ Christoph Dowe