Kein Herz und keine Seele

Bobic und Balakov raus? Nach dem 0:2 des VfB Stuttgart beim SC Freiburg übernimmt Multifunktionär Mayer-Vorfelder das Amt für Trainerschutz  ■ Von Christoph Biermann

Winfried Schäfer war noch nicht zur Pressekonferenz im Dreisam-Stadion erschienen, da hatte die Opposition bereits Aufstellung genommen. Hinter der Haupttribüne stimmten die Stuttgarter Samstagsdemonstranten wieder einmal eifrig ihren einzigen Choral an: „Schäfer raus!“ Sie waren vorbereitet. Schon kurz nach der Pause war das Transparent, „MV und Winni, Ihr habt fertig“, entrollt worden. Und als nach dem Schlußpfiff erneut das Badnerlied gespielt wurde, hielten sie ein zweites Spruchband hoch: „Winni, sing mit!“

„So geht es seit dem ersten Vorbereitungsspiel in Zuffenhausen. Das ist fast schon Rassismus“, klagte Schäfer nicht ganz zu Unrecht. Wobei es nicht ganz ohne unfreiwillige Komik ist, daß im Zeitalter fortschreitender Verwandlung des Fußballs in ein Segment der Unterhaltungsindustrie, regionale Antipathien einen Traditionsklub wie den VfB Stuttgart ins Trudeln bringen können. Die Fans des Sport-Clubs hatten ihren Spaß und sangen den desolaten Stuttgartern hinterher: „Außern Winni könnt ihr alle gehn.“

Der Auftritt des VfB beim glatten 0:2 in Freiburg legte noch einmal den Eindruck nahe, daß die Stuttgart-Mannschaft in einer tiefen Krise ist. Selbst Michael Zeyer, als schwäbischer Stoiker übergroßer Dramatisierungen sicherlich nicht verdächtig, raunte: „Ich habe solche Situationen schon oft erlebt. Da gibt es einen bestimmten Punkt, und der ist jetzt erreicht.“ Das klang nebulös und ließ die Frage offen, warum eine personell so gut besetzte Mannschaft in 90 Minuten keine Chance erarbeiten konnte und dazu läuferisch wie spielerisch unterging.

„Ich habe in der Kabine nichts zur Mannschaft gesagt, weil man das am nächsten Morgen alles bereut“, meinte Schäfer. Ansätze zur Kritik ließen sich finden. Jonathan Akpoborie gewann nur jeden fünften Zweikampf, sein Sturmpartner Fredi Bobic gar nur jeden zehnten. Krassimir Balakov („Über den Trainer wird schon lange Zeit geredet, aber mich persönlich interessiert das überhaupt nicht.“) fiel nur durch ein böses Foul gegen Baya auf. Und von Kapitän Frank Verlaat („Es ist schon klar, daß einiges verändert werden muß.“) abgesehen, fehlte es allen Spielern auch an einer kämpferisch nur annähernd überzeugenden Einstellung.

„Ich werde personell einiges verändern“, sagte Schäfer mit Blick auf das Viertelfinalspiel im DFB-Pokal am Dienstag beim FC Bayern. „Was einige Spieler geboten haben, das geht einfach nicht.“ Das ist insofern erstaunlich, da der VfB zumindest nominell seine Besten aufgeboten hatte. Dann gab Schäfer die Parole: „Weniger reden, mehr arbeiten“, aus, um erst einmal in die Kabine zurückzukehren – und zu reden. Über eine halbe Stunde lang hielt er dort mit seinem Vereinsvorsitzenden Gerhard Mayer-Vorfelder eine improvisierte Krisensitzung ab, während die Spieler im Mannschaftsbus bereits die Rückreise angetreten hatten.

Mayer-Vorfelder hat inzwischen routiniert seine Spieler abgewatscht. Er könne „diese Mannschaftsleistung nur als erbärmlich bezeichnen“. Und dann sprach er seinem Team gleich noch grundsätzliche Qualitäten ab: „Das ist eine Mannschaft, die kein Herz und keine Seele hat.“ Man muß den Eindruck gewinnen, daß Schäfer einen Etappensieg gegen sein Team errungen hat. Offensichtlich möchte Mayer-Vorfelder nach den vorzeitigen Kündigungen von Rolf Fringer und Joachim Löw nicht auch den dritten Trainer in drei Jahren vor Ende des Ablaufs seiner Vertrages entlassen. „Jedes Mal eine Ausrede zu finden und sich an der Brust von Journalisten auszuweinen, diese Platte höre ich seit drei Jahren“, sagte er, „die Mannschaft muß sich fragen lassen, ob sie überhaupt noch trainierbar ist.“ Um das herauszufinden, hat der Präsident gestern die Ohren seiner Profis gesucht. Offiziell soll es sich um eine „gute und konstruktive Aussprache“ gehandelt haben. Dennoch deutet manches darauf hin, daß Mayer-Vorfelder diesmal ausnahmsweise gegen seine Untrainierbaren vorgehen will. Vorstellbar wäre sogar ein Verkauf von Krassimir Balakov und besonders Fredi Bobic.

Dem Trainerschutz scheint damit möglicherweise in Stuttgart eine wichtigere Rolle zuzukommen als bislang, wenn man Mayer- Vorfelders Sorge glauben darf: „Man muß auch mal die Frage stellen, was einem Trainer noch zumutbar ist.“ Allerdings scheint Winfried Schäfer eine erstaunlich hohe Toleranzschwelle zu haben: „Ich bin keiner, der aufhört, da muß schon etwas Extremes passieren.“ Der Mann muß schon einiges durchgemacht haben. Denn was ist extrem, wenn nicht die momentane Situation in Stuttgart?

SC Freiburg: Golz – Hoffmann, Korell, Müller (60. Schumann) – Kohl, Baya (84. Pavlin), Günes, Kobiaschwili, Frontzeck – Iaschwili, (88. Wassmer), Sellimi

VfB Stuttgart: Wohlfahrt – Schneider, Verlaat, Berthold (46. Thiam) – Lisztes, Zeyer, Soldo, Balakow, Keller – Bobic (58. Djordjevic), Akpoborie (39. Ristic)

Zuschauer: 22.500 (ausverkauft)

Tore: 1:0 Iaschwili (9.), 2:0 Iaschwili (42.)