Von Weltmarktfabriken und Sexarbeiterinnen

■ Globalisierung ist nicht nur ein Schreckensszenario, heißt es einleitend zum neuen Prokla-Heft unter dem Titel „Globalisierung und Gender“, doch ein anderes Szenario wird in den informativen Aufsätzen kaum entfaltet

Schon im Editorial kriegt die traditionelle feministische Opfertheorie einige berechtigte Seitenhiebe ab. „Die Konzeption von Frau als der mit der Natur verbundene Teil eines patriarchalen Systems und der ewig Leidenden paßt auch zu dem gesellschaftlich konstruierten Bild vom Mann als agierendem Subjekt und der Frau als ,seinem‘ Familienzubehör“, schreibt die für das Prokla-Heft 111 maßgeblich verantwortliche Berliner Politikprofessorin Brigitte Young. In der Aufsatzsammlung unter dem Titel „Globalisierung und Gender“ geht es also nicht darum, ein weiteres Mal den Sieg des Patriarchats zu beklagen. „GewinnerInnen und VerliererInnen gibt es auf beiden Geschlechterseiten“, konstatiert Young. „Globalisierung ist nicht nur ein Schreckensszenario“: Zwar würden die überwiegend weiblichen Beschäftigten in den Weltmarktfabriken heftig ausgebeutet, andererseits schwäche ihre Erwerbsarbeit die patriarchalen Kulturen.

Die renommierte US-Soziologin Saskia Sassen nimmt in ihrem Aufsatz die „strategischen Orte oder Knotenpunkte“ der Globalisierung unter die Lupe, die „Global Cities“. In den gängigen Darstellungen, kritisiert sie, erschienen die dort arbeitenden hochqualifizierten „professionals“ als die einzig wichtigen Akteure der Globalisierung. Das aber sei nur die Hälfte der Realität. Frauen, ImmigrantInnen und Farbige arbeiteten den „professionals“ mit schlechtbezahlten, aber unerläßlichen Dienstleistungen zu: mit Müllentsorgung, Reinigung, Gastronomie. Eine soziale Polarisierung in den Metropolen sei die Folge. Die Situation von ImmigrantInnen sei jedoch in Westeuropa und in den USA eine wichtige Triebkraft bei der Ausweitung des Menschenrechtssystems gewesen, schreibt Sassen allzu optimisch. Ihre nicht minder optimistische Schlußfolgerung: „Die Herausbildung eines internationalen Menschenrechtsregimes und das Auftreten einer Vielzahl nichtstaatlicher Akteure auf dem internationalen Parkett sind ein Zeichen dafür, daß allmählich eine internationale Zivilgesellschaft entsteht.“

Einen interessanten Überblick über die Frauenarbeit in den Weltmarktfabriken, die sie Freie Exportzonen (FEZ) nennt, gibt Ingeborg Wick vom Südwind Institut für Ökonomie und Ökumene. Solche Zonen definieren sich unter anderem durch Steuerfreiheit und andere Privilegien für ausländische Investoren sowie die Abschaffung des Streikrechts und anderer arbeitsrechtlicher Bestimmungen. Die Folge seien unmenschliche Arbeitsbedingungen für die dort Schuftenden, die zu 70 bis 90 Prozent weiblichen Geschlechts sind. Die meisten seien junge, unverheiratete, kinderlose, also „anspruchslose“ Frauen. In den Weltmarktfabriken Süd-Koreas, Taiwans und Malaysias stellen sie vor allem elektronische Artikel her, in Bangladesch, Sri Lanka, Indonesien oder der Dominikanischen Republik Textilwaren, in den chinesischen Sonderwirtschaftszonen Artikel für Otto, adidas, Karstadt, Quelle und andere. Das Hongkonger Institut Asia Monitor Resource Center habe dort eine Fülle extremer Arbeitsrechtsverletzungen festgestellt.

Die Politologin Frauke Helwes bietet interessante neue theoretische Ansätze zum Thema „Migration, Prostitution, Frauenhandel“ an. Im Gesellschaftsvertrag des frühen bürgerlichen Nationalstaats sei ein Geschlechtervertrag verborgen: Männer hätten sich untereinander als „frei“ und „gleich“ definiert, Frauen jedoch die Eigenschaften abgesprochen, die den Status des vertragsabschließenden Individuums begründen: Vernunftbegabung, Eigentum, Verfügungsrecht über die eigene Person. Auf diese Weise hätten sie sich das gleiche Recht auf sexuellen Zugang zu den Frauen – seien es nun Ehefrauen oder Huren – gesichert. Der Handel mit Frauen, sagt die Autorin und bezieht sich dabei auf Pierre Bourdieus Analyse der symbolischen Ordnung des Patriarchats, sei zu deuten als „Allianzen sich selbst bestätigender Männlichkeit“. Der fortbestehenden Diskriminierung von Prostituierten, besonders derjenigen ausländischer Herkunft, sei nur mit der „zivilrechtlichen Anerkennung der Sexarbeit als Gewerbe oder Beruf“ beizukommen.

Letzterem widerspricht die Politikwissenschaftlerin Seiko Hanochi aus Tokio energisch. Die japanischen Feministinnen hätten „grundlegende Probleme mit der Legalisierung der Prostitution, denn eine solche Legalisierung würde bedeuten anzuerkennen, daß der weibliche Körper eine Ware ist, eine Position, die der Moral und dem Respekt vor der menschlichen Würde der Frauen widerspricht.“ Dennoch teilt Seiko Hanochi in der Analyse die Sichtweise Frauke Helwes, daß der sexuelle Zugang zu Frauen ein Mittel war, um die Gleichheit der Männer zu konstituieren. Im vormodernen Japan hätten die Samurai die Prostitution als einen Freiraum gesehen, in dem Männer mit unterschiedlichem gesellschaftlichen Status miteinander umgehen konnten, und in dieser Sphäre sei die bürgerliche Kultur in Japan entstanden. Und der Sextourismus, der sich seit 1965 mit Süd-Korea entwickelte, „war für japanische Geschäftsleute eines der Mittel, um eine enge Gemeinschaft mit ihren Kunden, aber auch untereinander aufzubauen“. Ute Scheub

„Globalisierung und Gender“. Prokla 111, Verlag Westfälisches Dampfboot, 164 Seiten, 20 DM