Der Staat zahlt in der Regel drauf

„Pallas“-Havarie kostet den Steuerzahler 10 Millionen Mark. Kein Geld von der Versicherung, weil Deutschland Bergungsabkommen nicht beigetreten ist  ■ Von Heike Haarhoff

Hamburg (taz) – Den Löwenanteil der Abschlepp- und Bergungskosten des vor Amrum gestrandeten Holzfrachters „Pallas“ wird nicht der Reeder tragen, sondern der Steuerzahler. Auch für das Abpumpen des Schweröls und für sonstige Umweltschäden, die die Havarie im Wattenmeer angerichtet hat, werden vor allem der Bund und das Land Schleswig-Holstein aufkommen.

Schätzungsweise zehn bis 15 Millionen Mark Schaden hat das Unglück bislang verursacht. 3,3 Millionen davon wird die Schiffsversicherung übernehmen. Das kündigte die italienische Schiffsagentur der „Pallas“ jetzt an. Doch für die Restsumme müsse „wohl die deutsche Regierung“ aufkommen. In diesem Punkt, klagt Klaus Meyer von der Hamburger ÖTV, Abteilung Seeschiffahrt, „ist die Pallas kein Einzelfall“. Der Staat, in dessen Hoheitsgebiet sich das Unglück ereignet, zahle in aller Regel drauf.

Generell gilt: Für Schäden haftet der Schiffseigner. Obwohl es außer für Öltanker keine Versicherungspflicht gibt, sind 95 Prozent aller Schiffe weltweit kasko- und haftpflichtversichert, beruhigt Hans-Heinrich Nöll, Rechtsexperte beim Verband Deutscher Reeder in Hamburg: „Kein Eigner würde sein Schiff ohne Schutz fahren lassen.“

Nach dem internationalen Bergungsabkommen von 1996 müssen die Versicherungen auch dann die Bergungsversuche bezahlen, wenn diese mißlingen oder gegen den Willen des Kapitäns erfolgten. Doch in Deutschland gilt noch das Bergungsrecht von 1910: Demnach übernehmen die Versicherungen die Kosten nur bei erfolgreicher Rettung. Scheitern alle Versuche, wie bei der Pallas, gibt es keinen Pfennig. Diese mißliche Situation hat sich die Bundesregierung größtenteils selbst zuzuschreiben, schimpft Nöll, weil sie dem Bergungsabkommen nicht beigetreten ist. „Warum die alte Bundesregierung das gemacht hat, weiß ich nicht“, grübelt Michael Donnermeyer, Sprecher des Bundesverkehrsministeriums. Auf die Frage, ob die Regierung jetzt beitreten werde, antwortet er, es werde „überprüft, welche Schritte erforderlich sind, um Havarien künftig zu vermeiden“.

Die meisten Schiffe sind über sogenannte „P&I-Clubs“ (protection and indemnity) haftpflichtversichert, die etwa die Deutsche Versicherungs- und Rückversicherungs AG (DARAG) in Rostock anbietet. Die Reeder sind Mitglied im P&I-Club und zahlen eine bestimmte Jahresprämie, die sich nach Art, Größe und Ladung des Schiffs richtet. Im Gegenzug sind die Reeder freigestellt von etwaigen Schadensersatzansprüchen. Allerdings gibt es eine „Haftungsbeschränkung“: Ist die Haftungshöhe einmal festgelegt – wie bei der Pallas auf 3,3 Millionen Mark – ist es unmöglich, mehr Geld herauszukitzeln, und sei der Schaden noch so hoch. Die Mehrkosten müßte nun eigentlich der Reeder übernehmen. „Falls er kein Geld hat, kann man auch ein anderes seiner Schiffe pfänden“, weiß ÖTVler Meyer. Doch da haben die geschäftstüchtigen Reeder vorgebeugt: „Bald jedes Schiff läuft inzwischen als eine eigene Firma.“ Ist die pleite, bleibt doch wieder der Staat auf den Kosten sitzen.

Hat der Reeder Geld, zahlt aber nicht, kommt es zum Rechtsstreit. Zuständig für solche internationalen zivilrechtlichen Streitigkeiten ist gewöhnlich der „Arbitration Court“ in London. Ob ein Schiff unter einer Billigflagge fährt oder der Eigner in einem Land wie den Bahamas, Malta oder Liberia sitzt, wo es keine Seegerichtsbarkeit gibt, ist zwar für strafrechtliche Verfahren relevant. Bei Zivilprozessen dagegen spielen diese Kriterien keine Rolle. Denn: „Die Versicherungs- und Haftungsfrage ist flaggenunabhängig“, so Nöll vom Reederverband. Wie man das Geld anschließend eintreibe, sei jedoch eine andere Sache. Bei Briefkastenfirmen sei es besonders schwer. Gewerkschafter Meyer runzelt die Stirn: „Was nützt ein Urteil, wenn der Beklagte hinterher nicht zahlt?“

Bei zivilrechtlichen Verfahren wie dem Schadenersatz, sagt Nöll, gilt „das Recht des Tatortes“, im Fall der Pallas also das deutsche. Die Behörden hätten insofern „alle polizeirechtliche Befugnis gehabt“, frühzeitig – und auch gegen den Willen von Eigner oder Kapitän – einzugreifen, weil eine Katastrophe drohte. Reeder bzw. Versicherung hätten trotzdem zahlen müssen. Erklärt der Eigner das Schiff – wie die Pallas – später zum Wrack, gibt er alle Verfügungsrechte auf. Doch für die Gefahren, die weiterhin von dem Schiff ausgehen (auslaufendes Öl, Feuer), muß er trotzdem aufkommen. Erst ab dem Moment, wo die Gefahren für Mensch und Umwelt gebannt sind, darf er sich aus der Verantwortung stehlen. Sprich: Das ausgebrannte Schiffsgerüst kann er getrost zurücklassen im Meer. Eine Rechtslage, die erklärt, weshalb in der Nordsee Hunderte von Wracks liegen. Das Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie stieß bislang bei Vermessungsfahrten auf rund 1.200 solcher Wracks.