„Auch Alte haben Recht auf Arbeit“

■ Erich Standfest, DGB-Sozialexperte und Vorstand des Verbandes Deutscher Rentenversicherer, kritisiert Riesters Pläne für Rente ab 60

taz: Der Tariffonds soll zentraler Punkt beim Bündnis für Arbeit werden. Warum torpedieren ausgerechnet Sie dieses Ansinnen?

Erich Standfest: Ich weise lediglich auf mögliche finanzielle und verteilungspolitsche Konsequenzen hin. Auf die Rentenkassen kämen zusätzliche Kosten zu, da der Kreis der Anspruchsberechtigten einer vollen Rente zwar ausgedehnt, der Fonds aber nur die Abschläge ausgleichen würde. Zudem würden die Arbeitnehmer während der fünf Jahre des Tariffonds auf Lohnzuwachs verzichten. Nach fünf Jahren entspräche dies einem Rentenbeitragssatz von fünf Prozent. Mit diesem Geld könnte die Rentenversicherung ihre Leistungen selbst verbessern.

Soll das Geld gleich an die Rentenversicherer gehen?

Darum geht es mir nicht. Ein Fonds über fünf Jahre hat zur Folge, daß die Nettoeinkommen sinken. Da sich die jährlichen Rentenanpassungen aber den Nettolöhnen anpassen, wären auch die Renten nach fünf Jahren um fünf Prozent niedriger.

Könnten Sie sich mit dem Fonds anfreunden, wenn sich die Arbeitgeber verpflichteten, freiwerdende Arbeitsplätze in vollem Umfang neu zu besetzen?

Darüber muß man reden. Aber auch in dem Fall müßte die Rentenversicherung den frühen Rentenbeginn vorfinanzieren. Würde aber die Zahl der Beitragszahler gleichbleiben, wären die Kosten geringer. Ich glaube kaum, daß die Arbeitgeber einer Wiederbesetzungsklausel zustimmen würden.

Wenn alle solange wie möglich arbeiten können, blockieren die Älteren den Arbeitsmarkt. Was raten Sie zu tun?

Wir müssen uns sozialpolitisch vor allem um die Älteren kümmern, die seit ein, zwei Jahren arbeitslos sind oder noch ihren Job verlieren werden. Sie alle fallen nicht mehr unter den Vertrauensschutz der vormaligen Frühverrentungsregelung und werden, wenn sie im Jahr 2000 in Rente gehen, voll von den 18 Prozent Abschlägen getroffen. Soweit ich das verstanden habe, bekommen die Arbeitslosen keine müde Mark aus dem Tariffonds.

Der Tariffonds ist ungerecht?

Mit dem Fonds bietet man Leuten, die einen relativ sicheren Arbeitsplatz haben, den komfortablen Ausstieg. Zudem ermöglicht der Fonds auch, Betrieben den Personalabbau zu finanzieren. Die armen Werftarbeiter in Schwerin, die entlassen wurden oder noch werden, bleiben aber auf ihrer gekürzten Rente von 1.500 Mark sitzen. Die können nicht mehr einzahlen, was ja Voraussetzung wäre für eine Fonds-Leistung. Und diejenigen, die den Ruhestand möglicherweise vom Betrieb vergoldet bekommen, die kriegen auch noch die Rentenabschläge ausgeglichen. Das sind verteilungspolitische Probleme, über die niemand redet.

Ist es nicht auch ungerecht, einem jungen Menschen die Chance auf einen Job vorzuenthalten?

Ich glaube, daß es auch ein Recht auf Arbeit für alle gibt, die älter als 59 sind. Ich vermag nicht einzusehen, daß man Anreize schaffen soll, die einen Druck für diese Beschäftigten erzeugen.

Niemand wird sagen: Geh! Jeder Ältere soll sich freiwillig entscheiden können.

Natürlich. Aber die betriebliche Wirklichkeit sieht anders aus. Wenn es zu Personalproblemen kommt, wird es heißen: Du kannst doch mit 60 bequem in Rente gehen. Da wird Druck ausgeübt, ob man will oder nicht.

Soll alles so bleiben wie es ist, ohne Tariffonds?

Denjenigen, die ihren Arbeitsplatz im Alter verlieren, sollte der Übergang in den Ruhestand erleichtert werden.

Wie?

Ich würde die hohen Abschläge verändern. 1996, als wir den Kompromiß über den Stopp der Frühverrentung mit der alten Regierung gemacht haben, gingen wir davon aus, daß die Abschläge bei 10,8 Prozent liegen und maximal auf das 63. Lebensjahr bemessen werden. Dann legte die Bundesregierung nach und hat gleichzeitig die Anhebung der Altersgrenze für die langjährig Versicherten also für diejenigen, die mit 63 ohne Abschläge in Rente gehen können, beschleunigt vorgezogen und angehoben. Dies bedeutet, daß für Altersrente wegen Arbeitslosigkeit der maximale Abschlag bei 18 Prozent liegt. Es wäre doch möglich, die Altersgrenze nach hinten zu verschieben. Dann bleibt es bei einem maximalen Abschlag von 10,8 Prozent. Dies könnten Arbeitgeber und Arbeitnehmer eher ausgleichen – etwa über Abfindungen und betriebliche Altersvorsorge. Ich will denjenigen, die arbeitslos sind oder werden, zuerst helfen. Interview: Annette Rogalla