Freudenbotschaft mit ödem Kitsch

■ Mit „Magnificat – Für eine neue Stadt“, choreographiert von Ton Simons, zeigt die Komische Oper erschreckend schlechtes Tanztheater

Das Herz sollte einem aufgehen, wenn Bachs Chöre im „Magnificat“ zur Freudenbotschaft anheben. Statt dessen macht sich Mißmut breit, je länger man den Tänzern der Komischen Oper Berlin bei ihren gespreizten Anstrengungen zusieht. Über zwanzig Tänzer wuseln auf der Bühne, und doch will kein Funke Energie überspringen. Armselig sind die Versuche, mit kokett herausgestrecktem Po etwas Pep in das schmale Vokabular der Choreographie zu bringen. Wo Präzision notwendig wäre, scheint dem Ensemble die Zeit zum Üben gefehlt zu haben. Nie reichen die langgestreckten Beine und himmelwärts flügelnden Arme an die emotionale Macht der Musik heran. Peinlich ist der Kampf um Innerlichkeit und den Ausdruck des Verzückens. Wo die Compagnie aber endlich mit dem Tempo und Reichtum der musikalischen Strukturen gleichziehen will, wirkt sie überfordert und hechelt mit hingehuschten, verkürzten Bewegungen der Musik hinterher.

Mit „Magnificat“ stellt sich der niederländische Choreograph Ton Simons erstmals in Deutschland vor, der von der Komischen Oper als Schüler Merce Cunninghams aufgebaut wird. Doch statt aus Zeit, Energie und Raum eine „Poesie“ zu gewinnen, die „so offen ist, daß die ganze Welt darin Platz findet“ (Simons im Programmheft), bleibt er in der Deklination tänzerischer Floskeln stecken. Seine Gruppenformationen sind vorhersehbar, die Solos gleichen Kunststückchen, den Duetten und Trios mangeln Witz und Flexibilität in den Beziehungen.

Im Opernhaus kommt die Musik von Johann Sebastian Bach, John Cage und Philip Glass vom Band. Während in der Tanzszene der freien Compagnien die Choreographen zunehmend mit Musikern auf der Bühne arbeiten, die in einen interaktiven Dialog einbezogen werden, haben die Opernballette noch immer ein konventionelles und eindimensionales Verhältnis zur Musik. So fehlt auch „Magnificat“ jede Reflexion über den Abstand, der sich zwischen uns und die Musik Bachs geschoben hat. Wie unvergleichlich intelligenter und empfindsamer wirkte da „Iets op Bach“ des belgischen Choreographen Alain Patel, der im August im Hebbel-Theater gastierte und Musiker und Sänger der Kantaten der Tuchfühlung mit den punkigen Tänzern aussetzte.

Hätte Kultursenator Peter Radunski, der die Ballettmisere Berlins gern mit den Worten zusammenfaßt: „Der Output entspricht in keiner Weise dem Input“, noch Argumente für den Abbau der bisherigen Compagnien gebraucht, dieses Stück lieferte sie ihm, in bonbonfarbene Kostüme verpackt. Das Tanztheater der Komischen Oper hat zwar schon bessere Stücke gezeigt. Trotzdem sind die Auslastungszahlen auf 30 Prozent gesunken. Im Zuge der Neustrukturierung der Ballette der drei Opernbühnen Berlins, die als Berlin- Ballett mehr Eigenständigkeit und neue Choreographen erhalten sollen, wurde an der Komischen Oper der bisherige Ballettchef Marc Jonkers ebenso gekündigt wie viele der Tänzer. Diese Situation hat sicher an der Motivation der Compagnie genagt, zumal Simons Choreographie alles andere als elektrisierend wirkt. Der Untertitel des Stücks, „Für eine neue Stadt“, hat jedenfalls sein Versprechen nicht gehalten, etwas Zukunft in den Tanz zu bringen. Katrin Bettina Müller

Weitere Termine: „Magnificat – Für eine neue Stadt“ in der Komischen Oper Berlin, 11., 18. und 25. Dezember 1998 sowie 27. Januar und 19. Februar 1999 , Behrenstraße 55–57, Mitte