Sprechen ohne Bereinigungen

Vermintes Gelände? In Berlin wurde vom Umgang mit südafrikanischer Apartheid- und DDR-Vergangenheit erzählt  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Die Heinrich-Böll-Stiftung hatte zu einer zweitägigen Tagung über den „Umgang mit der Vergangenheit“ nach Berlin geladen. Schon das Programm des „südafrikanisch-deutschen Seminars für Journalistinnen und Journalisten“ irritierte. Die nebeneinanderstehenden Vorträge über die „Vergangenheitsbewältigung“ in Südafrika und Deutschland schienen auf einen Vergleich zwischen dem Apartheidregime und der DDR hinzudeuten, der sich angesichts der Grausamkeit des Rassistenregimes schlicht verbietet.

In Südafrika gilt die Arbeit der „Wahrheits- und Versöhnungskommission“ (TRC), vor der seit 1994 insgesamt 21.298 Opfer und Angehörige von Ermordeten, Verschleppten und Gefolterten größtenteils öffentlich ihre Geschichten erzählten, als Voraussetzung für den schwierigen Aufbau einer demokratischen Gesellschaft. Die Anhörungen wurden ausführlich von den Medien gecovert. Das öffentliche Interesse war riesengroß.

In Deutschland dagegen haben „wir nie den Versuch gemacht, die Gesellschaft an der Aufklärung zu beteiligen“, sagte Sigrid Thomsen, die Repräsentantin der Heinrich- Böll-Stiftung in Südafrika. Durch die Vereinigung wurde die notwendige Diskussion unmöglich gemacht. Daß Westmedien die Diskussion über die DDR-Vergangenheit übernahmen, sei kontraproduktiv gewesen, so taz-Kollege Jürgen Gottschlich. Doch „die herrschenden Machtverhältnisse bestimmen den Rahmen, in dem Aufarbeitung stattfinden kann“. Außerdem hätte die Überbetonung der „Gerichtsschiene“ das Sprechen über die DDR verhindert. Er hätte sich gewünscht, daß es in Deutschland etwas Ähnliches wie die TRC gegeben hätte. „Ohne das jetzt vergleichen zu wollen.“ Ein Satz, der ständig fiel, wenn die Deutschen redeten.

Natürlich verglich man mehr oder weniger bewußt: Während eines südafrikanischen Fernsehberichts über TRC-Anhörungen, in dem es um Morde ging, dachte ich an die Spiegel-Serie, in der der Bürgerrechtler Jürgen Fuchs den Dichter Sascha Anderson als IM enttarnt und von einem „Auschwitz der Seelen“ geprochen hatte.

Nachdem Hugh Lewin, der sieben Jahre im Gefängnis saß, 1992 nach 20jährigem Exil nach Südafrika zurückgekommen war, in der TRC saß und nun Leiter des „Institute für the Advancement of Journalism“ in Johannesburg ist, über die Komplizenschaft gerade auch der liberalen englischsprachigen Medien mit dem Apartheidregime gesprochen hatte, hielt der Stuttgarter Sozialwissenschaftler Dr. Frank Brettschneider einen Vortrag in Sachen „Medienberichterstattung und ,innere Einheit‘ in Deutschland“.

Nicht allzu überraschend versuchte er zu belegen, daß die Berichterstattung die deutsche Spaltung unterstützt. Immer weniger und immer negativer würden die Leitmedien vor allem über die wirtschaftliche Lage im Osten berichten – wobei lustigerweise die Privatsender, die so gut wie gar nicht über den Osten berichten, im Osten am meisten geguckt werden. Der Einfluß der Negativberichterstattung zeige sich darin, daß die Ostdeutschen ihre persönliche wirtschaftliche Lage weit besser beurteilen als die allgemeine wirtschaftliche Lage. Als jemand von der Westdominanz in den Ostmedien, vom Austausch der Eliten, von der „Kolonialisierung“ des Ostens durch den Westen sprach, den Ostlern also die Rolle der Schwarzen zuwies, sagte ein anderer, dieser Ausdruck verbiete sich gerade auch angesichts „unserer südafrikanischen Freunde“.

So bewegte man sich ständig auf vermintem Gelände. Die sowohl in Südafrika als auch in Deutschland gebrauchten biologischen Metaphern, die die Nation mit einem Körper gleichsetzen – Zusammenwachsen, Heilen usw. – verführten zu verbotenen Vergleichen.

Höflich bezog sich Hugh Lewin auf Deutschland, als er in einem Nebensatz von Experimenten mit chemischen Waffen berichtete, mit denen man in Südafrika die Schwarzen hatte vernichten („exterminate“) wollen: „sorry, that's your word, isn't it – we say eliminate.“ In Südafrika war man, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden, zu einem Kompromiß gezwungen, der die Täter weitgehend amnestiert, sofern sie bereit sind, öffentlich vor der TRC auszusagen. Die weitgehende Amnestie hat zur Folge, daß die soziale Ungleichheit zwischen Tätern und Opfern bestehen bleibt.

Auch die Auswahl der Erzählungen, die zu einer Katharsis der Nation führen sollen, sei problematisch, betonten die südafrikanischen Journalisten. Vor der TRC wurden nur grobe Menschenrechtsverletzungen verhandelt und nicht der staatliche Rassismus. In erster Linie sagten wehrlose Opfer vor der TRC aus, keine Antiapartheidkämpfer. Die sinnlosen Opfer wurden teilweise zu Märtyrern im Kampf gegen die Apartheid umgedeutet, wie der südafrikanische Anthropologe Steven Robins anläßlich der Anhörung einer Frau schreibt, deren Schwester in den 80er Jahren als angebliche Informantin gelyncht worden war: „Die grauenhafte Erinnerung an den schrecklichen Tod ihrer Schwester wurde durch den Aufruf des Kommissionsbevollmächtigten unterbrochen, der um eine Schweigeminute für Makis Heldentum und Martyrium bat. Indem die Zeugin zum Schweigen gebracht wurde, wurde die in Wirklichkeit als Informantin gelynchte Frau in eine Märtyrerin des Kampfes verwandelt, deren Körper im Namen der neuen Nation geopfert wurde.“

Die Journalistin Anthea Garman erzählte davon, wie die Berichterstattung über die TRC die Journalisten verändert habe. Distanz und Objektivität seien nicht mehr aufrechtzuerhalten gewesen. Plötzlich begannen Journalisten „ich“ zu sagen. Die unbereinigte Sprache der normalen Leute, tabuisierte Wörter, standen plötzlich in der Zeitung. „Penis“ oder „Vagina“, wenn Menschen an den Genitalien gefoltert worden waren. Garman forderte einen Journalismus, der den Aktualitätsfetischismus nicht mitmacht, der sich parteiisch auf die Seite der Opfer stellt, der sie in ihrer Sprache zu Wort kommen läßt; Medien, die sich als Medien begreifen.

In Deutschland haben sich gerade Journalisten angewöhnt, über Begriffe wie Wahrheit, Wahrhaftigkeit oder journalistische Ethik eher zynisch zu grinsen. Von Ausnahmen wie etwa Gabriele Goettles Texten abgesehen, pflegt man von oben, gern in Polizeibegleitung, über die gesellschaftlichen Verlierer zu schreiben.

In Südafrika setzt man auf die lebendige Sprache der Opfer, in Deutschland vertraut man den Akten als Zeugen der Vergangenheit. In Deutschland pflegten viele Linke über „die Deutschen“ zu reden, ohne auf die Idee zu kommen, daß sie auch dazugehören.

Über die unterschiedliche Nähe der beiden deutschen Staaten zu Südafrika wurde nur am Rande gesprochen. Während die DDR den ANC unterstützt hatte, machten westdeutsche Unternehmen mit dem Apartheidregime Geschäfte. Medico international fordert die westdeutschen Unternehmen, die wie Daimler-Benz, Siemens, Deutsche Bank, Dresdner Bank, Commerzbank usw. mit dem Apartheidregime Geschäfte gemacht hatten, auf, Gelder zur Entschädigung von Apartheidopfern zur Verfügung zu stellen.