■ SPD und Grüne überschlagen sich mit Steuervorschlägen
: Mit Steuern steuern – aber wohin?

Der Regierungskoalition geht's zu gut. Ihr geht es so gut, daß sie nicht nur ihr Programm mit einem beängstigenden Tempo erledigt, sondern zugleich auch die Aufgabe der Opposition übernimmt. Das ist schlecht für Union und FDP, denn die kommen so überhaupt nicht mehr zu Wort. Das ist aber deshalb noch keinesfalls gut für die Regierungspolitik. Denn deren Kontur zerfleddert, kaum daß sie deutlich wird, im Sperrfeuer der öffentlichen Stellungnahmen der Protagonisten. So wurde bereits die Reform der 620-Mark-Jobs durchlöchert, bevor zu erkennen war, welchem Zweck sie dienen soll.

Ein ähnliches Szenario droht nun der Steuerpolitik. Bereits die Einkommensteuerreform atmet den Muff kompromißorientierter Uneindeutigkeit. Nun fordert die Grünen-Politikerin Kerstin Müller eine weitere Erhöhung der Energiesteuer, ihr Parteifreund Jürgen Trittin die Einführung einer Kerosinsteuer, der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement eine Steigerung der Mehrwertsteuer, und der Fraktionsvorsitzende der SPD, Peter Struck, hält das alles für falsch – zum jetzigen Zeitpunkt. Man muß kein Parteigänger der Union sein, um Arges dabei zu denken.

Rot-Grün war angetreten, um aus einer politischen eine gesellschaftliche Mehrheit zu formen. Davon ist zur Zeit wenig zu spüren. Denn diese Mehrheit zu gewinnen hieße, ihr nicht nach dem Maul zu reden, sondern klare Leitbilder zur Diskussion und auch zur Disposition zu stellen. Ein solches Leitbild wäre die Schaffung eines staatlich subventionierten, niedrig entlohnten Beschäftigungssektors – auch wenn mancher Gewerkschafter darin ein Horrorgemälde erkennt. Dann muß man klarmachen, daß anders kaum eine bessere Relation zwischen Wirtschaftswachstum und Beschäftigung zu bewerkstelligen ist.

Ein solches Leitbild wäre die ökologische Orientierung der Wirtschaft – auch wenn mancher darin ein Investitionshemmnis sieht. Dem muß man die arbeitsplatzschaffenden Potentiale ökologischer Innovation nachweisen. Ein solches Leitbild wäre die europäische Harmonisierung der Politik – auch wenn mancher sich lieber am nationalen Rahmen orientiert. Diesen zu überwinden hieße, Ziele für die Angleichung sowohl der Mehrwert- als auch der Energiesteuer zu formulieren. Dann würde man erkennen, daß zwischen beiden kein systematischer Widerspruch besteht.

Noch geht es der Regierung gut. Denn sie hat einen erstaunlichen Rückhalt bei den Wählern. Wenn sie diesen Kredit nicht gezielt einsetzt, hat sie ihn bald verspielt. Dieter Rulff