Die gefährlichsten Flüchtlingslager der Welt

■ Im Nordosten Kenias leben Flüchtlinge aus Somalia zwischen verfeindeten somalischen Nomaden und äthiopischen Rebellen. UNHCR und Regierung sind gegen die Unsicherheit so gut wie machtlos

Dadaab (taz) – Die Probleme der Hilfsorgansationen in Somalia sind spätestens seit der mißglückten UN-Operation dort bekannt, aber es scheint, als tauchten sie überall dort auf, wo Somalis hingehen, so als hätten sie die Unsicherheit im Gepäck. In den Flüchtlingslagern von Dadaab, im Nordosten Kenias, 80 Kilometer westlich der somalischen Grenze, gibt es auf jeden Fall dieselben Probleme wie in den somalischen Städten Mogadischu oder Kismayo. Die Mitarbeiter der dort arbeitenden Hilfsorganisationen können nur im bewachten Konvoi ihren Arbeitsplatz erreichen. Vergewaltigungen und bewaffnete Überfälle sind an der Tagesordnung im „gefährlichsten Flüchtlingslager der Welt“, so der Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) in Nairobi, Peter Kessler.

„Als wieder einmal die Verteilung von Plastikfolien zur Abdeckung der Häuser anstand“, berichtet der Leiter des UNHCR-Büros in Dadaab, William Asare, „fragten die Flüchtlinge, ob wir nicht noch damit warten sollten, weil das die Banditen anziehen könnte.“ Wer diese Banditen sind, weiß Asare nicht. Er weiß nur, daß die privaten Transportunternehmen, die die Hilfsmittel vom Hafen im kenianischen Mombasa nach Dadaab bringen und dabei durch das Gebiet müssen, das die Hilfsorganisationen nur im bewachten Konvoi durchfahren, noch nie überfallen wurden. Das läßt den Schluß zu, daß eine Art Wegegeld an die Banditen bezahlt wird.

Die ersten somalischen Flüchtlinge strömten 1991, nach dem Beginn des Bürgerkriegs in Somalia, in die kenianische Nordost-Provinz. Sie trafen dort auf Somali- Nomaden, die durch die koloniale Grenzziehung zu Kenia gehörten. Die somalischen Clans in Kenia sind jedoch mit denen auf somalischer Seite verbunden und natürlich durch den Krieg in Somalia auch entsprechend verfeindet. Außerdem ist die Grenze so durchlässig, daß Waffen und Milizionäre aus Somalia einfach durchkommen. Um die Unsicherheit in den Griff zu bekommen, haben Hilfsorganisationen in den Lagern Komitees zur Sicherheit und Justiz gegründet, deren Mitglieder die Flüchtlinge selbst wählen. Diese Komitees sind allerdings völlig machtlos, wie der Vorsitzende des Komitees von Ifo, Mohammed Ali, bereitwillig einräumt, denn Konflikte werden bei den Somalis traditionell zwischen den Clanältesten geregelt. „Wir beschränken uns darauf, dem UNHCR zu berichten, da und dort hat es eine Vergewaltigung, hat es einen Überfall gegeben.“ Würde er es auch anzeigen, wenn er wüßte, daß ein Bandit in einem Lager versteckt wird? „Nein, das würde ich nie anfassen, weil ich um mein Leben fürchten würde.“

Die gut 200 Polizisten in den Lagern seien auch keine große Hilfe, sagt Ali. „Wenn man sie informiert, sagen sie: ,Setz dich erst mal hin!‘ Oft haben sie kein Auto und wollen deshalb nicht mitkommen. Einmal haben sie einen Schuß in die Richtung der Banditen abgegeben, um sie zu warnen.“

Das UNHCR hat deshalb Anfang November der Polizei vier weitere Allradfahrzeuge zur Verfügung gestellt. Außerdem bezahlt es einen Teil ihres Gehalts. Da die Frauen vor allem Gefahr laufen, vergewaltigt werden, wenn sie die Lager verlassen, um Feuerholz zu sammeln, hat die US-Regierung ein Projekt gestartet, den Familien Brennstoff zur Verfüfung zu stellen, und die deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) hat ein aufwendiges Aufforstungsprogramm in den Lagern eingerichtet.

Jenseits der Flüchtlingslager herrscht seit Beginn des Bürgerkriegs in Somalia im gesamten Nordosten Kenias – ein Gebiet nahezu von der Größe der alten Bundesrepublik – starke Unsicherheit. Ende Oktober fand in der Region von Wajir ein Massaker an Degodia-Nomaden statt, bei dem nach offiziellen Angaben 142 Menschen umgebracht wurden. Überlebende berichten, mit automatischen Waffen ausgerüstete Soldaten der äthiopischen Rebellenorganisation „Oromo Liberation Front“ (OLF) hätten sich den mit den Degodia verfeindeten Gabbra und Borana angeschlossen und hätten 17.000 Stück Vieh und 75 Menschen, vor allem junge Frauen, entführt. Die Borana leben im Grenzgebiet von Kenia, Äthiopien und Somalia. Schon im Juli hatten kenianische Zeitungen berichtet, daß die OLF Basen in Kenia eingerichtet hätte.

Kenias Regierung blieb die Antwort auf die Frage schuldig, warum sie nicht mit Helikoptern und Flugzeugen versuchte, die große entführte Viehherde zu finden, die in der Halbwüste schwer zu verstecken sein dürfte. Dafür forderte Kenias Präsident Daniel arap Moi nach dem Vorfall bei einem Besuch in Wajir das UNHCR auf, Vorbereitungen zu treffen, die 110.000 Flüchtlinge in Dadaab und die knapp 60.000 in Kakuma an der Grenze zum Sudan in ihre Heimatländer zurückzuschicken. Diese Forderung hatte Moi allerdings schon einmal erhoben und wieder aufgegeben, und so dürfte sie auch diesmal dazu gedient haben, die zu erwartende Kritik an der Tatenlosigkeit seiner Regierung auf die Flüchtlinge selbst abzuwälzen. Peter Böhm