Quellendorf bleibt hetero

■ Eine Gemeinde in Sachsen-Anhalt hat ihre Bürgermeisterin abgesetzt, weil die transsexuell ist. Die Abgewählte will dagegen klagen

Berlin/ Quellendorf (AP/taz) – „Am Sonntag steht Quellendorf entweder als Synonym für Toleranz oder Intoleranz“, hatte Michaela Lindner den 1.000 Einwohnern von Quellendorf erklärt. Das war, bevor der Ort in Sachsen-Anhalt vorgestern darüber abstimmte, ob eine Transsexuelle Bürgermeisterin sein darf. Nun haben sie entschieden: 482 der 728 Wähler stimmten dafür, daß Lindner gehen muß. Nur 235 waren gegen ihre Abwahl.

In der Stimme der abgewählten Politikerin lag gestern Enttäuschung. Der Ort habe gezeigt, daß er „nicht europareif“ sei, sagte sie der taz. Ein derartiger Ausgang der Abstimmung sei allerdings auch in jeder vergleichbaren Gemeinde Deutschlands denkbar gewesen. „Aus Prinzip“ will sie Quellendorf auf 300.000 Mark Schmerzensgeld verklagen. Denn niemand dürfe, so zitiert sie aus Artikel 3 des Grundgesetzes, wegen seines Geschlechts benachteiligt werden. Eigentlich habe die überwiegende Zahl ihrer Wähler von 1996 zu ihr gestanden, erklärte Lindner. Die Wahlbeteiligung sei diesmal aber deutlich höher gewesen. Vor zwei Jahren war sie als Norbert Lindner Bürgermeister von Quellendorf geworden. Irgendwann merkte sie, daß ihre weibliche Psyche in einem männlichen Körper gefangen ist. Im letzten Sommer vertraute sie den Gemeinderäten ihre Veranlagung an. Im Dorf stieß die Offenbarung meist auf Ablehnung. Es wurden Unterschriften gegen die Bürgermeisterin gesammelt, als die immer häufiger in Frauenkleidern gesehen wurde. Die 40jährige stand jedoch zu ihrer Transsexualität – für viele Quellendorfer ein unhaltbarer Zustand. Sechs der acht Gemeinderäte beantragten im September die Abwahl. Nun haben sie sich durchgesetzt.

Am Tage der Entscheidung ist es zu einem Ansturm von Journalisten und Kamerateams aus dem In- und Ausland gekommen. Vor allem alten Dorfbewohnern ist das unangenehm. Kaum einer will mit den Reportern sprechen. Gleich nach der Wahl gehen die meisten schnellen Schrittes und mit gesenktem Kopf wieder nach Hause. Einige wollen sich jedoch das Spektakel, das ihrem Dorf zu zweifelhafter Berühmtheit verhalf, nicht entgehen lassen. Sie stehen stundenlang um die Imbißstände herum, die geschäftstüchtige Quellendorfer gleich neben dem Wahllokal aufgebaut haben. Die Bäckerin des Ortes hatte sich eigens für den großen Tag eine Sondergenehmigung besorgt, um am Sonntag öffnen zu können.

„Hilfe, da gehst du doch kaputt hier“, beschwert sich ein Junge aus Quellendorf. Tatsächlich wird die Stimmung immer aggressiver, je näher die Stimmenauszählung rückt. Schon gibt es in dem engen Wahllokal erste Rangeleien zwischen Gegnern und Befürwortern der Abwahl. Die Polizei muß eingreifen. Einige wenige klatschen, als Michaela Lindner die stickige Baracke betritt. Viel größer ist der Jubel bei der Bekanntgabe des Wahlergebnisses. Lindner bleibt gefaßt und bedankt sich zunächst höflich bei den Wahlhelfern.

Nun wolle sie Quellendorf „möglichst schnell“ verlassen, wenn das angestrebte Gerichtsverfahren vorbei ist, auch aus Deutschland fortgehen, kündigte Michaela Lindner gestern an und fragte: „Was soll ich noch hier?“ löw