Die Schönheit der Schwere

■ Das Staatsorchester und Solisten verwandelten Gustav Mahlers Zyklus „Lied von der Erde“ in ein großes Konzerterlebnis

Als ein überragendes Konzerterlebnis entpuppte sich am Montag abend das Philharmonische Abonnementskonzert. Unter der Leitung Erich Binders hatte das Philharmonische Staatsorchester Gustav Mahlers „Lied von der Erde“ ins Programm genommen. Mahler komponierte diesen Zyklus im Jahr 1908 in einer Zeit mehrerer Lebenskrisen und verwendete dafür die bilderreichen Nachdichtungen chinesischer Lyrik von Hans Bethge, die selbst die Schlüsselstellen für eine interpretatorische Grundhaltung des Zyklus beinhalten: Verstummen und Hoffnung gleichmaßen. Der quälend lang und zugleich versöhnliche „Abschied“ scheint mit seinem „ewig ... ewig ...“ auch der letzte Widerhall einer musikalischen Epoche gewesen zu sein. Und genau dies brachte Binders Interpretation auf großartige und ergreifende Weise zum Ausdruck.

„Es ist so wie das Vorbeiziehen des Lebens, besser: des Gelebten, an der Seele des Sterbenden. Das Kunstwerk verdichtet, das Tatsächliche verflüchtigt, die Idee bleibt; so sind diese Lieder“, schrieb der junge Anton Webern über Mahlers Zyklus.

Im Bremer Konzert war es Cornelial Kallisch vorbehalten, den Altpart mit einer Intensität ohnegleichen zu gestalten, die in Tempo und Gestus zunehmend schweren Gedanken mit einer flexiblen Farbigkeit auszustatten und vor allem Nuancen einzubringen, die weit über das hinausgehen, was in den Noten steht. Und der mutig den jammervollen Becher leerende Tenor Janez Lotric, der für sein stürmisches Delirium ganz genau phrasieren muß, war kaum weniger überzeugend.

Die Pole explosiver, aber zynisch gebrochener, ja katastrophischer Lebensfreude und die zur Ruhe kommende Sehnsucht markiert Mahlers Musik erschütternd: „Lied vom Jammer der Erde“ heiß der ursprüngliche Titel. Und Erich Binder malte sie mit Liebe zum Detail nach, ohne den Blick auf das sinfonische Ganze zu verlieren. Und er nutzte dabei eine Möglichkeit, von der leider nur wenige Dirigenten Gebrauch machen: Wie bei Mahler eigentlich üblich, plazierte er die zweiten Geigen rechts neben das Pult (statt links hinter die ersten Geigen). Die hörbar andere Einsicht in die Strukturen erlaubte ein ungewohntes Erlebnis an Klangfarben.

Einleitend hatte sich Binder für Haydns späteste Sinfonie entschieden, und dies nicht unbedingt zu deren Gunsten. Denn die klang laut, poltrig und hektisch – zum Teil auch ungenau in den gemeinsamen Anfängen.

Begeisterter Beifall für den Mahler, vor allem auch für Cornelia Kallisch. Ute Schalz-Laurenze