Muß man nicht ein wenig differenzieren? –betr.: „Schlechter Tag für Schlächter“, taz vom 26. 11. 98

[...] Dieser und auch Artikel der folgenden Tage lassen den Trend erkennen, daß die taz sich wünscht, daß Öcalan vor Gericht gestellt werde, genau wie die Riege von Militärs, mit denen Ihr Öcalan zusammen abgebildet habt.

Aber muß man nicht zwischen Öcalan und den anderen Herren ein wenig differenzieren? Die Militärs aus Chile, Argentinien und Jugoslawien haben ihren Militärapparat zum Umsturz demokratisch gewählter Regierungen beziehungsweise zur Niederwerfung separatistischer Gruppen innerhalb ihres Staates eingesetzt und dabei ungeheure Blutbäder angerichtet. Ihr Handeln ist also zutiefst reaktionär, in ihrem Handeln ist der Tatbesetand von Verbrechen gegen die Menschlichkeit beziehungsweise Völkermord erfüllt.

Öcalan dagegen ist der Chef einer fortschrittlichen Bewegung, die gegen das brutale Joch eines unterdrückenden Landes und für die Freiheit ihres Volkes kämpft. Der Kampf, den die PKK für die Freiheit Kurdistans führt und mit der Zielsetzung der Schaffung eines Staates, in dem die Kurden gemäß ihren Bräuchen und ihrer nationalen Identität ohne Unterdrückung leben können, ist in meinen Augen zutiefst fortschrittlich.

Wer aber hat einen Großteil der Waffen geliefert, mit denen das türkische Militär so manches Blutbad unter der kurdischen Bevölkerung angerichtet hat? Ganz richtig, die frühere deutsche Bundesregierung, die sich somit zum Handlanger des Völkermordes am kurdischen Volk gemacht hat. Die Bundesanwaltschaft, gebunden an die Weisungen dieser Regierung unter Helmut Kohl, erließ einen internationalen Haftbefehl gegen den Chef der PKK, was nur folgerichtig bei der Ausrichtung der damaligen Politik gegenüber der Türkei war. Natürlich kann man den Haftbefehl nicht mit der revolutionären Politik der PKK begründen; so ist der Hauptpunkt des Haftbefehls, daß die Bundesanwaltschaft behauptet, Öcalan habe die Ermordung eines Abtrünningen der PKK in Deutschland selbst befohlen.

Verstehen Sie mich richtig: Ein Mord an einem Abweichler, und das noch unter den Bedingungen im Exil, ist verwerflich und kann nie und nimmer gutgeheißen und gebilligt werden. Aber ist es so wahrscheinlich, daß Öcalan in seinen Hauptquartier in der Einöde eines anderen Kontinents von diesem Mordvorhaben gewußt oder es sogar direkt angeordnet hat? Diese Behauptung der Bundesanwaltschaft ist vor Gericht zu beweisen, ausschließen kann man es nicht, daß Öcalan den Mord an einem Abweichler doch befohlen hat. Dann müßte er für dieses Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden. Aber stellt der bloße Verdacht Öcalan auf eine Stufe mit Pinochet, der den Fortschritt und die Menschlichkeit in seinem Land in einem Meer von Blut ertränkt hat?

Nach Euren Artikeln der letzten Tage möchte man das meinen; deshalb diskutiert mal darüber und überlegt, ob Ihr das wirklich so im Raum stehen lassen wollt. Christian Stürmer, Wiesens

Mit der zitierten Überschrift jenes Artikels ist ein neuer intellektueller Tiefstand der politischen Entdifferenzierung in der taz erreicht. Pinochet und Öcalan, Massera und Perisic in einen Topf zu werfen und umzurühren, tut jedem dieser Politiker-Militärs zugleich Gewalt und Ehre an.

Daß dies kein flapsiger Fauxpas der Überschriftenmacher war, sondern der politischen Naivität einer Schreiberin geschuldet ist, die bei Pinochets Putsch womöglich noch gar nicht geboren war, wird im Artikel deutlich, wenn sie den Vereinten Nationen euphorisch und euphemistisch den Titel der „Hüter der Menschenrechte und des Weltfriedens“ verleiht. Wolf Müller, Berlin