Der Gipfel der wohlfeilen Worte

Die Zusammenkunft der Spitzen Frankreichs und Deutschlands konnte Interessensgegensätze nicht vertuschen. Heraus kamen hehre Absichtserklärungen  ■ Aus Potsdam Dorothea Hahn

Es sollte der Anfang einer neuen Ära werden. Sowohl die deutsche als auch die französische Regierung hatten großspurig „Entstaubungen“ und die „Abschaffung überholter Rituale“ angekündigt. Doch der gestern in Potsdam zu Ende gegangene 72. deutsch-französische Gipfel blieb hinter den hohen Erwartungen an eine neue sozialdemokratische Zusammenarbeit zurück.

Konkretestes Ergebnis ist die Absichtserklärung, einen „europäischen Beschäftigungspakt“ in die Wege zu leiten. Dieser soll „Leitlinien“ für den Umgang mit Langzeitarbeitslosen, mit Jugendarbeitslosen und der Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt festlegen.

Der Pakt ist vor allem ein kostenloser Appell an die SozialpartnerInnen. Die werden aufgefordert, ihren Dialog zu verbessern – im Hinblick auf „Arbeitszeitorganisation und Lohnentwicklung“. Die drei Männer, die die deutsch- französischen Belange in den kommenden Jahren leiten werden, schilderten die Gipfelatmosphäre als besonders freundschaftlich. Sie bestätigten die traditionelle Rolle des „deutsch-französischen Motors“ für den Aufbau Europas. Betonten ihre Absicht, die EU zu erweitern und konkretisierten die Gründung einer bereits vor Jahren geplanten deutsch-französischen virtuellen Universität mit Sitz in Saarbrücken. Als freundliche Geste an den neuen deutschen Kulturminister nahmen sie auch ihr Festhalten an der Buchpreisbindung mit in die Abschlußerklärung auf.

In allen wesentlichen Fragen blieb es aber bei der kritischen und vielfach konkurrierenden Distanz zwischen Bonn/Berlin und Paris. Deutlich trat dies bei der Frage der Agenda 2000 zutage. Bonn möchte nicht länger „Nettozahler“ in der EU sein, will seine jährlichen Beiträge reduzieren. Frankreich ist strikt gegen Haushaltskürzungen in der EU. Unter anderem lehnt Paris es ab, die aus Brüssel hochsubventionierte europäische Landwirtschaftspolitik zu „renationalisieren“, wie Deutschland es vorschlägt.

Im kommenden Halbjahr, wenn Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft innehat, wird die EU dennoch einen Kompromiß in der Frage der Agenda 2000 schaffen, sind sich Bonn/Berlin und Paris kurioserweise einig. Mögliche Alternativen zum Sparen bei den beiden großen Ländern zirkulieren bereits. Unter anderem schlägt Paris vor, daß Deutschland mehr Geld aus Brüssel bekommt. Außerdem biete es sich an, die Regionalfonds in der EU, von denen gegenwärtig vor allem die periphären kleinen Länder profitieren, ein wenig zu straffen.

Ein anderer deutsch-französischer Streitpunkt ist die Zukunft der europäischen Rüstungsindustrie. Nachdem Paris in den vergangenen Monaten zusehen mußte, wie die Börsen in Frankfurt und London im Alleingang eine Zusammenarbeit beschlossen, sind in Deutschland in der jüngsten Zeit finanzielle und industrielle Blocks entstanden. Im Vergleich zu ihnen ist jede europäische Konkurrenz schwach.

Als rechtzeitig zum Potsdamer Gipfel auch noch die Fusionsabsichten der Dasa mit der British Aerospace bekannt wurden, platzte den Franzosen der Kragen. Sie machten ihren deutschen KollegInnen klar, daß sich Frankreich nicht aus der europäischen Rüstungszusammenarbeit herausdrängen läßt. Künftig werde Paris statt mit den Deutschen mit den Briten über eine Rüstungszusammenarbeit verhandeln. Schließlich sei die British Aerospace viel größer als die Dasa und werde sie bei dieser „kapitalistischen Fusion“ ganz einfach schlucken. Für den französisch-britischen Gipfel in dieser Woche ist das eine gute Nachricht.