Eingekuschelte Disko-Helden in Plüsch und Dung

■ Der britische Turner-Prize gehört zu den bestdotierten Auszeichnungen für zeitgenössische junge Kunst. Am Dienstag abend hat ihn Chris Ofili für seine Afro-Glitter-Paintings bekommen

Ein Freund der Tate Gallery wird man für 30 Pfund. Dafür gibt es das monatliche Tate-Kunstmagazin, und außerdem ist der Eintritt in alle Ausstellungen gratis, während der Rest im Pulk der London-Touristen draußen an einer Holzbude um Tickets anstehen darf. Wer gerne „Patron of New Art“ werden will, muß dagegen schon zur Spitze der britischen Society gehören, so wie Neil Tennant, der Sänger der Pet Shop Boys. In diesem Jahr durfte Tennant für sein Engagement in Sachen Young British Art an der Jury teilnehmen, die am Dienstag abend den Turner-Prize vergeben hat.

Die Wahl fiel auf Chris Ofili und seine hochformatigen Gemälde, in denen er neben allerlei Glitter und Acrylfarben auch Elefantendung verarbeitet. Der 29jährige Maler wurde in Manchester geboren, seine Eltern stammen aus Nigeria. Damit gehört Ofili zur ersten Nach-Commonwealth-Generation afrikanischer Migranten, was natürlich auch für die zielstrebige Integrationspolitik von New Labour gewertet werden kann.

Vor allem aber ist Ofili nach über zehn Jahren der erste Maler, der den mit 20.000 Pfund dotierten Turner-Prize erhält. Zuvor waren Rachel Whitereads irrwitziger Innenabguß eines Hauses (1993) oder Damien Hirsts zerlegte Kühe (1995) und immer wieder Künstler ausgezeichnet worden, die mit Medien arbeiten: 1996 Douglas Gordons verlangsamte Filmschleifen, im letzten Jahr Gillian Wearing für ihre Videodokumentation von Polizisten, die ein wenig umständlich auf einem Gruppenfoto posieren. Irgendwann sah es aus, als käme der Innovationsschub der Veranstaltung allein den Programmplanern des Fernsehsenders Channel4 zugute, der seit 1991 das Sponsoring für den Preis besorgt.

Deshalb waren Ofili schon im Vorfeld prominente Kritiker wie Adrian Searle vom Guardian beigesprungen und hatten sich für eine Rückkehr zur Leinwand stark gemacht. Der Gewinner paßt zum Trend, der in New York mit mächtigen Retrospektiven über Mark Rothko, Barnett Newman und zuletzt Jackson Pollock angeschoben wurde. Auch bei Ofili drückt sich der Erfolg in Zahlen aus: Zu seiner Ausstellung in der Londoner Serpentine Gallery kamen 35.000 BesucherInnen.

Überhaupt spielt öffentliche Anerkennung bei der Vergabe des Turner-Prize eine immense Rolle. Die Auszeichnung wird seit 1984 an Künstler verliehen, die „innerhalb der letzten zwölf Monate eine herausragende Ausstellung präsentieren konnten“. So steht es in den Statuten, und auch die Kriterien bei der Auswahl der vier KandidatInnen lesen sich ziemlich offiziös. Bei Cathy de Monchaux war es die „wachsende Komplexität“, mit der die 38jährige Bildhauerin Materialien wie Leder und Messing zu einem monströsen Geschlechterreigen verbindet, der zwischen Gothic Horror, Anatomiesammlung und „Alien“ pendelt. Tacita Dean wurde für ihren „geschickten Umgang mit Film, Facts und Fiction“ nominiert – das Ergebnis ist ein siebenteiliges Storyboard mit Szenen einer Schiffsreise, die Dean unglaublich leichthändig in weißer Kreide auf die Tafeln gezeichnet hat. Von Sam Taylor-Wood gibt es das schwer emotionsgeladene Videodrama „Atlantic“, bei dem man einem Pärchen dabei zuschauen kann, wie es sich in einem Restaurant verzweifelt streitet. Und schließlich wurde Chris Ofili für „den sinnlichen Überschwang, den Humor und die Reichhaltigkeit seiner kulturellen Referenzen“ zum Wettstreit in die Tate Gallery eingeladen.

Andererseits wirken seine collageartigen Arbeiten mit Porträts afrikanischer Frauen und schwarzer HipHop-Stars provozierend genug, daß sich die Presse darüber aufregt. Die Times kommentierte geringschätzig, daß hier „keine große Kunst“ zu sehen sei, sondern nur sehr viel Sex und etwas Dung. Dabei hat sich Ofili für die Turner- Wahl noch ziemlich zurückgehalten: Während er sonst Pornobildchen als Vorlage benutzt, sind es nun liebliche Figuren, die in ihren plüschigen Pastellfarben wie angenehm driftende Kifferphantasien aussehen. Titel wie „Innervisions – Too High“ oder „No Woman No Cry“ erinnern an die entsprechenden Songs von Stevie Wonder und Bob Marley. Parallel zu Glam und „Velvet Goldmine“ baut sich Ofili ein Kabinett aus schwarzer Seventies-Kultur zusammen: Disko- Kunst zum Kuscheln. Und in Soho wird derweil nicht mehr „Grease“, sondern „Saturday Night Fever“ als Musical gespielt.

Weil er seine eigene künstlerische Position ebenfalls als Produkt der gegenwärtigen Afro-Hipness sieht, hat Ofili „Captain Shit“ erfunden. In der Figur des backenbärtigen schwarzen Superhelden zeigt sich, wie skeptisch der malende Soul-Fan auf die Begeisterung reagiert, mit der sich auch in der Tate Gallery ältere Damen vor seiner Funky Family versammeln. Schließlich ist die vermeintliche schwarze Authentizität von Ofili ein erst ziemlich spät geerdetes ethnisches Konstrukt: Seit einem Studienaufenthalt in Simbabwe Mitte der 90er benutzt er gepunktete Ornamente, aus deren minutiöser Schichtung sich psychedelisch leuchtende Felder ergeben. Und auch die Idee mit dem Dung kommt aus Afrika. Daß sich Ofili in der Ausstellung ausgiebig für die Unterstützung durch die diversen Londoner Zoos bedankt, gehört zum Spiel. Dort sind die Elefantenknödel keine Fetische, sondern Abfall. Harald Fricke

Bis 10.1. 1999, Tate Gallery, London. Katalog: 1,50 £