Zwischen den Rillen
: Room Service der Seele

■ Wer im Rhythm 'n' Blues hat die längste Praline der Welt? R. Kelly oder Dru Hill?

Popmusik und Gefühl gehen dieser Tage meist nicht mehr miteinander. Zwar tönt des öfteren ein gesampeltes „Can U Feel It?“ aus dem Radio, doch da geht es nicht ums Verlassenwerden, sondern um Drogen. Und je experimenteller sich Musik gibt, desto weniger kann sie sich zu einem Statement durchringen. Keine guten Zeiten für all diejenigen, deren Urgroßeltern noch mit Novalis im Tornister in ihre Beziehungskriege gestiefelt sind.

Wer Übersichtlichkeit in Beziehungsdingen will, muß trotzdem nicht allzu lange suchen. Die Welt, die Mann und Frau und den ganzen Kram noch einmal zusammenzeigt, liegt um die Ecke im Musikfernsehen, nennt sich R'n'B, hieß früher mal Soul, liefert all das – und ist erfolgreich wie nie zuvor. Wo überall sonst die Geschlechterverhältnisse in Wahrnehmungsschnipsel zerfallen, paßt bei R'n'B noch alles zusammen. Auch das Prinzip des musikalischen Fortschritts, das all die Auf-der-Höhe-der-Zeit-Technologie-Musiken von HipHop bis zu diversen Spielarten elektronischer Musik regiert, gilt im R'n'B nicht. Hier werden nicht die neuesten Beats geschnitten, hier geht es um andere Dinge.

Im R'n'B im allgemeinen und bei R. Kelly im besonderen ist alles größer als die Realität: die Gefühle, die Posen, die Stimme und die Anzahl verkaufter Platten. Vierfach Platin brachte seine letzte Platte, und „R.“ ist noch größer angelegt. Vom Strandvideoclip, wo jeden Augenblick Körperteile von schwarzen Balken verdeckt werden mußten, ist R. Kelly mittlerweile bei Kurzfilmen gelandet, in denen weißgekleidete, vielhundertköpfige Riesenchöre auf Marmortreppen von Gebäuden stehen, die irgendwo auf halbem Weg zwischen dem Trump Tower und der Akropolis zu liegen scheinen.

Große Gefühle brauchen große Chöre. Und so widmet sich R. Kelly der Beziehungsarbeit. Mal sitzt er einsam in seinem Zimmer, weil er ihr unrecht getan hat und sie deshalb alles Recht der Welt hatte zu gehen, trotzdem müsse sie ihn aber sehen, wie er seine Fehler bereue und leide. Mal hat er gleich zwei Frauen übel mitgespielt, die beiden haben sich zusammengetan und ihn vermöbelt, und wieder sitzt er da, gesteht und singt. Sollten sich all diese Frauen erweichen lassen und wider Erwarten doch zurückkommen, wird das ihr Schaden nicht sein. Denn, so wird R. Kelly nicht müde zu betonen, er ist derjenige, der niemals müde wird. Wer sich ihm hingibt, kann damit rechnen, daß die Liebe kommt, mächtig wie Wasserfälle, ausdauernd wie tropische Regenschauer und pünktlich wie der Room Service.

So geht das zwei vollgepackte CDs lang, fast drei Stunden. Bei R. Kelly ist sogar die Albumlänge länger als bei anderen. Alles so dermaßen slick und perfekt produziert, daß man auf der glatten Oberfläche ausrutscht, durchbricht und ins Schwimmen kommt.

Man bemerkt es fast gar nicht, daß man in Wirklichkeit in der Badewanne liegt und sich – ausgerechnet – von Celine Dion suggerieren läßt, es sei ein Whirlpool. Das beste Stück, das Kelly dieses Jahr produziert hat, ist mit „Be Careful“ allerdings ein Duett mit seiner Entdeckung Sparkle, auf deren Soloplatte. Wenn ihre Geschichte auf seine Geschichte prallt, sich die beiden Klischees singend gegenüberstehen – dann hat das die Qualität eines der unzähligen Duette von Marvin Gaye mit Tammi Terrell.

Wo R. Kelly in einer Linie mit großen Sängern/Produzenten/Alleskönnern wie Smokey Robinson steht, bewegen sich Dru Hill in der Tradition der unzähligen schwarzen Vocal Groups der letzten Jahrzehnte: von den Doowop-Gruppen der Fünfziger über die Delfonics bis hin zu Boyz II Men. Sogar die Bandgeschichte paßt in dieses Muster. Kennengelernt haben sie sich auf der Highschool, dann sangen sie an Straßenecken, bei der Amateur Night im Apollo Theater in Harlem und wurden schließlich auf einem nationalen Talentwettbewerb entdeckt. Das war vor sechs Jahren, und sie waren gerade mal vierzehn Jahre alt. Nun sind sie zwanzig, haben ein Platinalbum hinter sich und ihr zweites Album draußen.

Zwar herrschen auch bei Dru Hill die klassischen Themen vor: genauer wissen wollen, wie tief eigentlich die Liebe ist, und warum sie gegangen ist, wo sie doch gerade erst wieder zurückgekommen war. Doch, wie schon an den Drachentätowierungen und asiatischen Schriftzeichen ersichtlich, die Arme, Körper und Plattencover zieren: Dru Hill finden durchaus Vergnügen an verbotenen Früchten. Seine Freundin mit ihrer besten Freundin betrügen und niemandem etwas sagen. Solche Dinge. Und wenn sie Method Man treffen, geht es darum, was sie so am liebsten machen, nämlich ihren Ladies im Bett beim Klimpern der Ohrringe zuzuschauen. Auch in punkto Over- the-top-Videoclips liegen Dru Hill, mit einem Auftritt rund um einen Swimmingpool in 250 Meter Höhe auf dem Dach eines Wolkenkratzers in Hongkong, innerhalb dessen, was das Genre verlangt.

So weit, so klassisch. Doch das ist nicht alles. Wenn mitunter aus dem Soulgesang in eine nur noch halb gesungene Mischung aus Rappen und Stammeln übergegangen wird, dann heben sich Dru Hill von ihren Vorlagen ab. So singt sonst niemand. Tobias Rapp

R. Kelly: „R.“ (Jive/ RTD)

Dru Hill: „Enter the Dru“ (Island/ Mercury)