Abachas gestohlene Milliarden

■ Vergangenheitsbewältigung in Nigeria: Ein imaginäres Kneipengespräch

„625 Millionen Dollar. 75 Millionen Pfund. 252 Millionen Naira. Nochmal 1,45 Milliarden Dollar. Das macht zusammen fast 100 Milliarden Naira. Mein Gott, gleich kriege ich einen Herzinfarkt.“

„Du bist zu arm für einen Herzinfarkt, mein Freund. In Nigeria muß man reich sein, um die Privilegien eines hohen Blutdrucks und eines Herzstillstands zu genießen.“

„Um mich geht es doch gar nicht. Guck mal, was hier steht: Abacha und seine Familie allein haben 65 Milliarden Naira gestohlen.“

„Der Mann war ein Dieb.“

„Ein Bandit.“

„Richtig.“

„In Wirklichkeit war Abacha ein Schmuggler.“

„Sicher.“

„Ich glaube, er war verrückt.“

„Wohl wahr.“

„Wie kann jemand 100 Milliarden Naira stehlen?“

„Das ist mehr als alle Staatshaushalte, die wir seit 1960 gehabt haben.“

„In fünf Jahren hat Abacha mehr Geld gestohlen, als das ganze Land je für sinnvolle Dinge ausgegeben hat.“

„Sicher mehr als die gesamten Ersparnisse einiger afrikanischer Länder.“

„Er war ein Verbrecher.“

„Das war er.“

„Denk doch mal, was man mit dem ganzen Geld hätte machen können. Wenn man 100 Milliarden Naira in die nigerianischen Universitäten steckt, haben wir die besten Universitäten der Welt.“

„Wissenschaftler aus anderen Erdteilen werden Schlange stehen, um in Nigeria zu lehren.“

„Wenn man die Hälfte des Geldes in die Infrastruktur steckt, wird Nigeria eine Touristenattraktion.“

„Wenigstens gibt es regelmäßig Strom. Die Telefone funktionieren. Es gibt trinkbares Wasser. Man kann die Straßen reparieren. Dieses Land wird der Riese Afrikas.“

„Mit 100 Milliarden hätten wir eine U-Bahn bauen können, und das ganze Elend jeden Tag auf den Straßen wäre vorbei.“

„Aber was ist mit dem Rest? Die 100 Milliarden sind nur das Geld, das von Abachas Familie und ihrem Diener wiedergeholt worden ist. Was ist mit den anderen Dienern und Mini-Abachas? In den Ministerien, in den Firmen, den Kommunalbehörden, in anderen finsteren Ecken, wo man Nigerianern wie dir und mir Geld anvertraut?“

„Es ist ein Wunder, daß es dieses Land noch gibt. Unsere Rettung ist, daß Gott uns liebt. Dank seiner Gnade sind wir am Leben.“

„Wir sind reich.“

„Wir sind gesegnet.“

„Wir sind talentiert.“

„Wir haben alles.“

„Außer Führern. Guten Führern. Das ist unser Problem.“

„Abacha war der Schlimmste.“

„Man sollte den Mann an die Wand stellen und erschießen.“

„Er ist tot. Wie willst du einen Toten an die Wand stellen?“

Gekürzt aus: The Guardian (Lagos), 13.11.98