Reine Taktik oder eine neue Strategie in Washington?

■ Warum amerikanische SFOR-Truppen den bosnisch-serbischen General Krstić jetzt verhaften, ist unklar. In der französischen Zone gehen mutmaßliche Kriegsverbrecher weiter spazieren

Sarajevo (taz) – Unerwartet kam die Festnahme von Radislav Krstić, einem Generalmajor der bosnisch-serbischen Streitkräfte, durch US-amerikanische SFOR- Truppen am Mittwoch im ostbosnischen Bijeljina. Denn viele Beobachter hatten die Hoffnung aufgegeben, daß sich in bezug auf die Kriegsverbrecher in Bosnien etwas bewegen würde. Mit der Festnahme des Generals, der als Kommandant des 5. Armeekorps zu den wichtigsten Repräsentanten der serbisch-bosnischen Armee gehört, bewegt sich etwas.

Krstić wird vorgeworfen, an den Massakern in Srebrenica teilgenommen zu haben. Damals wurden rund 7.000 Menschen ermordet. Bilder von der Einnahme Srebrenicas zeigen ihn mit seinem Vorgesetzten, dem ebenfalls gesuchten General Mladić. Krstić soll die „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zwischen dem 11. Juli und 1. November 1995 begangen haben. Er stand seit dem 30. Oktober auf der Geheimliste gesuchter Kriegsverbrecher.

Das 5. Armeekorps, das sogenannte Drina-Korps, war während des Krieges in der Region Srebrenica, Zepa und Majevica aktiv. Krstić soll 1992 auch an der Belagerung von Sarajevo teilgenommen haben. Nach dem Krieg arbeitete er als Vorsitzender der Kommission zur Beseitigung von Minen in der Republika Srpska mit den SFOR-Truppen zusammen. Um so mehr überraschte seine Verhaftung jetzt die Öffentlichkeit in Bosnien. In der Republika Srpska kam es zu Protesten, nicht jedoch zu ernsten Zwischenfällen.

Auf die Frage eines französischen Journalisten, warum bisher nur in der amerikanischen und britischen SFOR-Zone gesuchte Kriegsverbrecher festgenommen wurden, blieb die SFOR gestern eine Antwort schuldig. Von den gefaßten Kriegsverbrechern sind nur in diesen Zonen Verdächtigte festgenommen worden. Dagegen zeigen sich in der zu dem französischen Sektor gehörenden Region um Foca gesuchte Kriegsverbrecher in der Öffentlichkeit.

„Krstić ist ein großer Fisch“, erklärte ein US-amerikanischer Militärberater. Die USA stünden zu ihrer Verpflichtung, gesuchte Kriegsverbrecher festzunehmen. Angesichts der Tatsache jedoch, daß es seit Monaten nicht mehr zu Verhaftungen gekommen war, gehen diplomatische Kreise von einem Politikwechsel in Washington aus. Während der Verhandlungen über Kosovo habe man Belgrad nicht verprellen wollen. Nachdem Milošević die Vereinbarungen unterlaufe, werde mit der Verhaftung von Krstić ein Zeichen gesetzt. Berichte in der britischen und amerikanischen Presse über einen angeblichen Befehl Clintons an die CIA, dazu beizutragen, Milošević zu stürzen, verstärken solche Spekulationen. Andere vermuten nur eine Taktik, um Milošević zu Zugeständnissen zu zwingen.

Unterdessen wird in den SFOR- Truppen kritisch über die französische Haltung diskutiert. Daß französische Militärs Karadžić über SFOR-Pläne, ihn zu verhaften, informierten, ein französischer Major Nato-Pläne für Luftangriffe auf Serbien verriet und daß Kriegsverbrecher in der französischen Zone sicher sind, ruft Unmut hervor. Doch in die Öffentlichkeit wollen die Kritiker nicht gehen. „In der deutsch-französischen Brigade gibt es keine Spannungen“, erklärte der deutsche Bundeswehrgeneral Hollaender. Erich Rathfelder