Keine Straßenschlachten, keine brennenden Fahnen, nicht ein Blutstropfen: Das Fußballspiel zwischen Galatasaray Istanbul und Juventus Turin hat entgegen allen Befürchtungen das Verhältnis zwischen der Türkei und Italien deutlich entspannt. Leidtragender könnte der in Rom festsitzende PKK-Chef Öcalan sein Aus Istanbul Jürgen Gottschlich

Fußball ist die beste Politik

Im nachhinein gesehen könnte es das entscheidende Signal zur Entspannung gewesen sein. Selten ist ein Fußballspiel so zum Spielball der Politik geworden, aber noch seltener dürfte ein Spiel seine politische Funktion so optimal erfüllt haben. „Die Türkei hat gesiegt“, titelt Radikal, und meint damit eigentlich, die Vernunft habe gesiegt. Der so sehr befürchtete Krawall ist ausgeblieben. „Die große Prüfung“, als die das Massenblatt Hürriyet das Champions-League-Spiel zwischen Juventus Turin und Galatasaray Istanbul bezeichnet hatte, ist mit Bravour absolviert worden.

Und dann dieses Ergebnis. Drei Minuten vor Schluß, im Ali Sami Yen Stadion ist bereits eine beklemmende Ruhe eingekehrt und in den Kneipen rund ums Stadion droht die große Depression, kommt doch noch die Erlösung. Der Ausgleich zum 1:1 durch Galatasaray löst einen Aufschrei der Erleichterung aus. „Suat hat uns gerade noch gerettet“, jubelt der Kommentator, und genauso sieht es die Fußballnation.

Mit der großen Erleichterung scheint nun die Stimmung insgesamt umzuschlagen. Eine Lösung im Konflikt um den Chef der Kurdischen Arbeiterpartei, Abdullah Öcalan alias Apo, könnte in Reichweite rücken. Dabei sah zunächst alles nach dem großen Clash aus. Als nach der Landung Apos in Rom die antiitalienischen Emotionen in der Türkei hochkochten, drohte die Begegnung zwischen Turin und Istanbul zum finalen Showdown einer nationalistischen Kampagne zu werden, die den Beziehungen der Türkei zu Italien, aber auch zum übrigen Europa den Rest gibt. Mesut Yilmaz, mittlerweile gestürzter Ministerpräsident, hatte die Stimmung in der Hoffnung, so seinen Sessel zu retten, noch ordentlich angeheizt. „Ewige Feindschaft“, schwor er Italien, falls das Land zum Schlupfwinkel für Apo werden sollte.

Kein Wunder, daß den Spielern von Juventus Turin angst und bange wurde, als sie sahen, wie türkische Rechtsradikale die italienische Botschaft bestürmten und auf etlichen Kundgebungen italienische Konsumartikel demonstrativ verbrannt wurden. „Niemand bringt mich nach Istanbul“, befand der französische Juve-Star Zidane und auch der Rest der Mannschaft drohte mit Boykott.

Während in der türkischen Öffentlichkeit gemutmaßt wurde, Juventus wollte wegen mehrerer gesperrter und verletzter Spieler nur einer sicheren Niederlage aus dem Weg gehen, wurde hinter den Kulissen ein Kompromiß ausgehandelt. Kein neutraler Austragungsort, wie ihn die Italiener wollten, aber – gegen das türkische Votum – eine Verlegung des Spiels um eine Woche, befand die Uefa salomonisch. Nachdem sich in Istanbul die erste Erregung über diese „Schande“ gelegt hatte, wurden die Massen dann darauf eingestimmt, den Italienern jetzt zu zeigen, daß alle ihre Befürchtungen grundlos waren und sind. „Es ist eine Frage der Ehre“, gab der Innenminister die Losung aus, „daß wir unsere italienischen Gäste in Freundschaft empfangen“.

Für den Fall, daß irgendein durchgedrehter Rechtsradikaler nicht begriffen haben sollte, daß nun Freundschaft angesagt ist, oder aber die PKK sich die Hochspannung mit einer gezielten Provokation zunutze macht, haben die türkischen Sicherheitskräfte eine Armada aufgeboten. Selbst Bill Clinton hätte sich keiner größeren Aufmerksamkeit erfreuen können, als die Spieler und die insgesamt fünfzehn italienischen Fans, die am Mittwoch auf dem für Regierungsbesuche gesperrten Teil des Istanbuler Flughafens landen. Eskortiert von einer Motorradstaffel und etlichen Sicherheitsfahrzeugen geht es über abgesperrte Straßen zum Çiragan Palast, dem schönsten Hotel Istanbuls. Schon am Flughafen stehen Galatasaray- Fans bereit, um Juve zuzujubeln, und auch am Hotel gibt es Blumen und klatschende Fans.

Das Stadion ist von einem doppelten Polizeikordon abgeriegelt. Die Galatasaray-Vereinsführung läßt Flugblätter verteilen, auf denen sie an die Fairneß der Fans appelliert. Offenbar aus Furcht, in der allgemeinen Aufgeregtheit unterzugehen, bringt sich auch die PKK noch einmal in Erinnerung. In einer Grußadresse an Juventus bedauert die Europaleitung der Partei, daß sie den Anlaß dafür geboten hätten, daß Juve nun „in Feindesland“ reisen müsse.

Als dann endlich um kurz vor 22 Uhr das Spiel angepfiffen wird, sehen sich eine Handvoll Fußballspieler genötigt, stellvertretend für Heerscharen von Diplomaten und Politikern das Verhältnis zwischen ihren beiden Ländern wieder instandzusetzen. Sowohl der Spielverlauf als auch das Ergebnis werden diesen Erwartungen in jeder Hinsicht gerecht. Es gibt viele Ruppigkeiten aber keine bösartigen Fouls, es ist kein schöner Fußball, aber immer ergebnisorientiert. Und: Mit dem Unentschieden können alle zufrieden sein.

Parallel zur Vorbereitung auf das Spiel sind aber auch Politik und Diplomatie nicht untätig. Deutsche und Italiener bereiten eine Initiative für die Ministerratssitzung der EU am kommenden Montag vor, um den Fall Öcalan gleichmäßig auf die Schultern aller Europäer zu verteilen. Damit dürften sie allerdings in der Türkei nach wie vor nicht viel Glück haben. „Wir weisen eine europäische Lösung kategorisch zurück“, ließ der türkische Außenminister Ismail Cem lapidar mitteilen. Der nur noch kommissarisch amtierende Ministerpräsident Yilmaz drückt es mal wieder etwas drastischer aus: „Es geht für uns um eine Existenzfrage. In dieser Sache verfügen wir über keinen Millimeter Flexibilität.“

Dafür müssen jetzt wieder einmal die Amerikaner sorgen. Die diplomatische Feuerwehr des State Department ist bereits in Stellung gegangen. Madeleine Albright hat angekündigt, den türkischen Außenminister Cem und den italienischen Außenminister Lamberto Dini während der Nato- Außenministertagung am 8. und 9. Dezember zusammenzubringen. Bereits bei der OSZE-Versammlung in Oslo soll ihr Stellvertreter Thomas Pickering mit dem türkischen Außenminister den Fall Öcalan besprechen. Die USA unterstützen zwar im Prinzip die Türkei in ihrem Auslieferungsbegehren, werden aber wohl nun einen Kompromiß vorschlagen.

Damit verlieren Abdullah Öcalan und die PKK die Initiative. Schon bei dem Fußballspiel war Apo, ein Fan von Galatasaray, nur noch einer unter Millionen Fernsehzuschauern. Wenn die türkische Politik jetzt ihre Chance ergreift und in Kooperation mit den USA und Europa eine Lösung sucht, wird der PKK-Chef wieder zum Kleingeld der großen Spieler.