Vom Selbst verfolgt

Seriöse Publikationen zur Fotografie sind meist Ausstellungskataloge mit festem Einband wie der solide Katalog zu Man Ray – Torwächter zwischen Fotografie und Kunst in der ersten Hälfte des Jahrhunderts – und der schmalere zu dem blassen sozialistischen Phänomen Alexander M. Rodtschenko (Schirmer/Mosel, 128 bzw. 78 Mark).

Das Geschäft, lebende FotografInnen in eigenen Buchmonographien vorzustellen, ist gewiß um einiges härter. Als der Scalo-Verlag mit Marianne Müllers „A Part of My Life“ herauskam, sah es zunächst so aus, als wären dem innovativen Verleger Walter Keller die Ideen ausgegangen: Das exhibitionistische Fototagebuch der 32jährigen Zürcherin macht ein riesiges Aufheben davon, die Geschlechtsspalte nicht zu zeigen und dann doch zu zeigen, tätigt ein paar Anleihen bei Jürgen Teller und Araki, aber fügt weder dem Diskurs der Entblößung noch dem der Verschleierung des Körpers etwas hinzu – ein mitteldreistes Nichts (68 Mark).

Kürzlich wurde dann (zum Trost?) bei Scalo ein verlegerisches Meisterwerk nachgeschoben, ein 550seitiges Buch ausgerechnet von Helmut Newton, der uns mit seinem fühllosen Domina-Chic in den letzten Jahren ziemlich auf die Nerven gegangen ist. Pages from the Glossies faksimiliert Doppelseiten aus Modemagazinen von 1956 bis heute. Die erotischen Meisen Newtons sind im Kontext der Illustration viel witziger, als wenn sie als Kunst daherkommen, von einem wunderbaren Porträt Françoise Sagans in ihrem offenen Jaguar für die französische Vogue im Oktober 1963 über ein verstiegenes voyeuristisches Unterwäschefeature für Nova im elegisch-elektrischen Jahr 1971 bis zu einer farbigen Doppelseite 1995, auf der eine blonde Zicke mit Fernglas 1.500-Mark-Stilettos von Chanel zur Schau trägt: im Rollstuhl sitzend, gegen einen blaßblauen Himmel geblitzt (138 Mark).

Der Stemmle-Verlag ist zur Zeit nur interessant als Importeur der amerikanischen Distributed Art Publishers. Aber das Wiedererscheinen des Self Portrait von Lee Friedlander nach 28 Jahren ist auf jeden Fall eine Sensation: ein vertrackter Trip des New Yorker Straßenfotografen, der seinem „Selbst“ entkommen will und ihm in Spiegelungen und Schatten permanent begegnet – wenn nicht von ihm verfolgt wird (84 Mark).

Wer sich für die Sozialgeschichte von Tätowierungen, Piercing und Labelfetischismus interessiert, muß die American Bikers eines Fotografen haben, der sich Sandro nennt. Hier werden Harley-Davidson-Fahrer, von denen manche vielleicht mehr wiegen als ihre Maschinen, in Irving-Penn-Manier schwarzweiß dramatisiert: Sie sind, findet Sandro, eigentlich gute Menschen (Schirmer/Mosel, 78 Mark). Merke: Wer politisch korrekt ist, hat ein großes, großes Herz. Uez