Weihnachtlich aromatisiert

Die vorfestliche Völlerei hat begonnen – oder regiert in Hamburg auch zur Adventszeit das Light-Motiv? GastronomInnen befragte  ■ Karen Schulz

Selten muß soviel Getier dran glauben wie zur Weihnachtszeit. Insbesondere Gänse, Enten und Karpfen müssen Federn bzw. Schuppen lassen, damit es auf den Tellern so üppig zugeht wie später unterm Weihnachtsbaum. Denn dieser Eßtrend beginnt nicht erst am 24. Dezember – den ganzen Monat über sind die Menschen mit Weihnachtsfeiern beschäftigt.

Stellt sich nur die Frage, ob's da kulinarisch wirklich so fulminant zugeht, immerhin hat sich einiges getan: Sushi-Bars sind hip, als Finger-Food wird die Häppchen-Kost von edlen Food-Magazinen als der kulinarische Schrei gelobt, und das herrschende Körperideal läßt darauf schließen, daß Essen gar nicht mehr stattfindet. So jammert Freundin Bettina auch jedes Jahr wieder über die „Völlerei“ zu Weihnachten: viel zu spießig der Gänsebraten, gar nicht stylish die Knödel. Muß es also auch Weihnachten „light“ zugehen? Oder geben sich die Menschen in der dunklen Jahreszeit doch wieder hemmungslosem Genuß hin?

Hamburgs Restaurants haben dieses Problem gelöst: Um allen Geschmäckern das Gewünschte zu bieten, wird das Angebot einfach erweitert. „Klassisches wie Gans und Ente wird in der Weihnachtszeit gerne genommen, das haben wir dann auch auf der Karte“, sagt Manfred Althammer, Maître d'hôtel im Louis C. Jacob an der Elbchaussee. „Daneben steht nach wie vor die klassische französische Küche, die wir im Dezember weihnachtlich aromatisieren.“ Dann wird das Reh mit Sternanis gewürzt, und als Dessert gibt's geeisten Lebkuchen.

Auch Michael Sütterlin, Küchenchef im Markgraf, betont die Tradition: Bei ihm in Groß Borstel bekommt man Gänsebraten mit Rotkohl und Serviettenknödeln, Ente, ein „winterlich-weihnachtliches Wildprogramm“ und als Dessert Zimtparfait. Und natürlich die passende Deko – „darauf legen wir schon Wert“, so Sütterlin. Im Old Commercial Room an der Englischen Planke findet man Gans und Ente in winterlicher Begleitung mit Grünkohl auf der Karte – und vom Band tönen weihnachtliche Weisen von James Last.

Steffen Henssler, Geschäftsführer im Zeik, beobachtet jedoch eine Verschiebung: „Der Run auf die Klassiker Gans und Ente war früher größer.“ Trotzdem hat auch das Zeik diese Braten auf der Karte. Die üblichen Gerichte werden hier nicht abgewandelt, „nur die Desserts sind weihnachtlich angehaucht“. Und damit fährt das Restaurant in den Grindelhochhäusern erfahrungsgemäß ganz gut, denn „wenn auf den Weihnachtsfeiern so schwer gegessen wird, wollen die Leute im Restaurant doch lieber mal was anderes, Leichteres“.

Der Trend zur Vielfalt trifft nicht nur auf Gasthäuser mit deutscher Küche zu: Im Graceland in Ottensen und in Doris' Diner im Univiertel kann man Weihnachten amerikanisch genießen. Das Graceland bietet passend zur Südstaaten-Küche Truthahn, Ente und Wild mit typischen Beilagen wie Cranberries. Um nicht allzu sehr von den kulinarischen Genüssen abzulenken, ist die Deko allerdings, laut Mitinhaber Drew Wenzel, „nicht die überzogene amerikanische Nummer, eher subtil“.

In Doris' Diner wird dagegen das ganze Programm geboten: Passend zum „Turkey Special“ mit gefülltem Truthahn, Kürbisgemüse und süßen Kartoffeln ist das Lokal „kitschig amerikanisch“ dekoriert, so Besitzerin Doris Papenbrook. Die logische Fortsetzung des ganzjährigen Diner-Dekors – daß es au-thentisch wirkt, verrät der hohe Anteil an amerikanischen Gästen, die hier wohl optisch wie kulinarisch ihr Heimweh stillen wollen.

Was aber machen VegetarierInnen in der Adventszeit? Üben sie sich im Verzicht und begnügen sich mit einem Möhrchen wie der Esel vom Nikolausi? Weit gefehlt: Vegetarische Restaurants wie die Goldene Oase in Eppendorf oder das Suryel auf St. Pauli bieten mit ihren Menüs eine veritable Alternative. Dabei beschränkt man sich in der Goldenen Oase darauf, das Dessert mit Mandeln und Zimt weihnachtlich zu gestalten und auf den Yogitee zu verweisen, der mit den typischen Gewürzen wie Zimt, Nelken, Kardamom und Ingwer aufwartet – die übrigen Genüsse bleiben „normal“, d.h. sie werden nicht ans Fest adaptiert. Im Suryel hingegen gibt es mehrere Menüs und Büffets zur Auswahl, und da ist dann wieder alles vorhanden, was das Herz begehrt: Ob mit Wintersalat, Apfel-Rotkohl oder Apple-Pie an Zimtsauce – hier können VegetarierInnen ihre Weihnachtsbegierden stillen.

Und wer jetzt oder in ein bis zwei Wochen die Nase voll hat vom allgegenwärtigen adventösen Trubel, der kann sich zumindest essenstechnisch in eine ganz besondere Oase flüchten: Im Zorba the Buddha im Karoviertel bleibt man von Adventsgestecken, Kugeln und ähnlichem verschont, und auch die Karte bietet „nur“ die üblichen Köstlichkeiten. Zwar werde zu Weihnachten wohl wieder ein Menü „zusammengezimmert“, so Till Vorwerk, aber das floppte im vergangenen Jahr gewaltig. Den Gästen, so mutmaßt der Zorba-Koch, reichen offensichtlich die mit Zimt, Koriander und Co. gewürzten indischen Currys – und die gibt es rund ums Jahr!

Eins ist dabei ganz klar: Auf der Silvesterparty wird auch Bettina nach einigen Gläsern Prosecco und ein paar Häppchen vom hippen Fingerfood-Büffet gestehen, daß sie Weihnachten wieder schwach geworden ist – der Gänsebraten ist plötzlich zum Manna mutiert und wird erst allmählich übers Jahr wieder zum fetttriefenden Schreckge-spenst – auch das eine Tradition, alle Jahre wieder eben.