„Niemanden beschossen“

■ Dev Sol-Prozeß: Angeklagter streitet Tat ab. Staatsschützer sorgt für Verwirrung

Im sogenannten Dev-Sol-Prozeß vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht hat ein zweiter Angeklagter der Bundesanwaltschaft (BAW) widersprochen. Armagan O., Hauptangeklagter im Verfahren um die Schießerei am 29. Januar in Ottensen, sagte vorgestern aus, er habe „auf niemanden geschossen“.

Der 20jährige Anhänger des „Yagan“-Flügels der verbotenen kurdisch-türkischen Linkspartei Dev Sol ist gemeinsam mit zwei Freunden wegen Mordversuchs und „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ angeklagt. Die drei Männer sollen sich mit Mitgliedern des verfeindeten „Karatas“-Flügels einen Schußwechsel geliefert haben, bei der Karatas-Mann Hidir H. schwer verletzt wurde. Die BAW geht davon aus, daß O. die betreffenden Kugeln abfeuerte.

Bereits vor rund einer Woche hatte jedoch Yagan-Anhänger Taylan T. gestanden, er habe die Schüsse im „Affekt“ aus nächster Nähe abgefeuert. Armagan O. sagte nun aus, er habe sich lediglich aus „Angst vor Überfällen“ bewaffnet. Als die Gruppe auf die Karatas-Männer traf, sei zunächst nur geredet worden. „Wenig später hörte ich aus nächster Nähe einen Schuß“, so Armagan O., „ich wußte aber nicht, wer ihn abgegeben hatte.“

Er habe daraufhin seine Pistole gezogen und sie in Schußrichtung gehalten. „Ich sah, wie Taylan mehrfach schoß.“ Hidir M. sei zu Boden gefallen; „ich drehte mich zu ihm um, dabei löste sich ein Schuß, der ein parkendes Auto getroffen hat.“

Die Aussagen beider Männer decken sich mit den Angaben des Schußsachverständigen des Bundeskriminalamts, Martin Bart. Er stellte fest, daß die Schüsse auf Hidir M. aus kurzer Distanz abgegeben wurden. Das allerdings widerspricht den Angaben zweier Polizeizeugen. Sie wollen gesehen haben, wie Armagan O. „mehrfach“ aus einiger Entfernung auf Hidir M. geschossen habe.

Vor Gericht sorgte vergangene Woche auch Staatsschützer Jürgen R. für Verwirrung, der gemeinsam mit den beiden Polizisten die Yagan-Gruppe am Tag der Tat observierte. Als die drei Männer auf die Karatas-Anhänger trafen, habe er „knallartige Geräusche“ vernommen, so R. Dann sei er zu seinem Fahrzeug gegangen, um den Funk abzuhören. Diese Aussage löste Zweifel aus: „Sie stehen fast in der ersten Reihe des Geschehens und ziehen sich zum Funk zurück?“ fragten die Richter ungläubig.

Der Prozeß wird fortgesetzt.

Peter Müller