Wenn es im Meer schneit

■ Die Ozeane sind gigantische CO2-Puffer und spielen eine Hauptrolle im Klima-geschehen / 100 Meeresforscher trafen sich zurTagung an der Universität Bremen

Das war eine dieser amerikanischen Größenwahn-Ideen: Warum nicht, statt das Treibhausgas CO2 durch sparsamere Autos oder besser isolierte Häuser zu reduzieren, das überschüssige CO2 einfach unter den Teppich kehren?! Zum Beispiel, indem man mit Unmengen Eisenstaub den Ozean düngt. Eisen ist gut für Plankton, Plankton frißt CO2, und irgendwann landet das ganze auf dem Meeresgrund – der Klimakiller ist aus dem Verkehr. Zu teuer, mußte man feststellen, und zu risikoreich. Denn das Wissen um die Rolle der Ozeane im globalen CO2-Haushalt und um die Wanderwege des Gases durch die Weltmeere war begrenzt. Heute weiß man erheblich mehr, und das verdankt sich nicht zuletzt der zehnjährigen Arbeit von JGOFS. JGOSF heißt ausgeschrieben „Joint Global Ocean Flux Study“ und übersetzt „Stofflüsse im Weltozean“ und bezeichnet ein internationales Forschungsprogramm, dessen deutsche Koordinierungsstelle im Bremen sitzt. Am Donnerstag und Freitag tagten auf Einladung von Marum (Zentrum für marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen) in der Uni etwa 100 deutsche Meeresforscher.

Die Phase der „Datenproduktion“ (so nennen Meeresforscher ihre Exkursionen auf Forschungsschiffen im Nordatlantik, im Indischen Ozean und im Südpolarmeer) ist beendet – nun geht es an die Auswertung. 60 mal mehr CO2 als in der Erdatmosphäre sind im Ozean gespeichert. „Der Ozean ist ein großer Topf, ein riesiges Speicherreservoir für das Treibhausgas,“ sagt der Bremer Geologe Gerold Wefer, Initiator von Marum und Koordinator aller deutschen JGOFS-Aktivitäten. 100 Gigatonnen (100 Milliarden Tonnen) CO2 tauschen Atmosphäre und Ozeane jährlich aus. 6 bis 8 Gigatonnen sind menschengemacht. Immerhin 2 Gigatonnen „verschlucken“ die Weltmeere alljährlich.

Auf zwei Wegen gelangt das Gas ins Wasser: Einmal über das Plankton. Wenn es im Frühjahr blüht, sinkt der CO2-Gehalt im Wasser um bis zu 30 Prozent, es entsteht ein CO2-Unterdruck. Folge: Das Gas wandert aus der Luft ins Wasser. Das kohlenstoffhaltige Plankton wird vom Krill und anderen Krebstierchen, diese von Fischen und Walen gefressen. Deren Kot und abgestorbene Algen sinken als „Meeresschnee“ Richtung Meeresboden. Dieses Material ist dem Kohlenstoffkreislauf langfristig entzogen.

Der zweite Weg: Im Nordatlantik zum Beispiel toben im Herbst zahlreiche Stürme, die offenbar für den Kohlenstoffkreislauf bedeutend sind. Sie wühlen das Wasser bis zu 500 Meter tief auf und befördern CO2 in tiefe Meeresschichten, von wo aus es Richtung Süden transportiert wird. Nach oben gelangt nährstoffreiches und CO2-armes Wasser.

Betrachtet man den Globus als Organismus, hat es fast den Anschein, als gäbe es auch in diesem Maßstab so etwas wie eine „Selbstheilung“. Je stärker der Treibhauseffekt, desto mehr und heftigere Stürme, die mehr CO2 wegschaffen können. Diese Zusammenhänge sind aber noch nicht belegbar. Beobachtbar ist jedoch ein anderer „Selbstheilungseffekt“: Zumindest bis zu einer bestimmten Konzentration des CO2 gilt, daß je mehr davon in der Luft ist, desto stärker vermehrt sich das CO2-fressende Plankton.

„Wir wissen heute genauer, wie CO2 im Wasser transportiert wird,“ sagt Wefer nach 10 Jahren „Datenproduktion“. Man weiß, wo im Meer „Quellen“ sind, die das Gas wieder an die Atmospäre abgeben, und wo „Senken“. Weiter weiß man, wieviel organische Substanz, befrachtet mit CO2, im Meer absinkt, also „verschwindet“. Man hat heute mehrfach verifizierte Modelle zur Verfügung, anhand derer sich relativ zuverlässige Voraussagen machen lassen. Ein Beispiel: Was passiert, wenn in der Region der Kanarischen Inseln, wo übrigens die Bremer Forscher einige Meßstationen im Meer haben, die Stürme stärker werden? Wenn infolgedessen mehr (eisenhaltiger) Saharastaub vom Festland herweht? Und das Plankton mehr Futter bekommt? Es läßt sich nun hochrechnen, ob die bisherige CO2-Quelle zur CO2-Senke wird.

Die Ergebnisse des deutschen Anteils am Forschungsprogramm JGOFS werden gedruckt nicht vor dem Jahr 2000 vorliegen. Dann werden sich Umweltpolitiker ihrer bedienen, womöglich als Grundlage ihrer beliebten (Horror-)szenarien. „Man braucht nicht in Panik zu verfallen,“ meint Gerold Wefer, „aber man muß beunruhigt sein.“ Denn er weiß auch, was er noch nicht weiß. Die Ozeane mögen ein gewaltiger CO2-Puffer sein; aber niemand kann sagen, wie stabil dieses hochkomplexe System ist. BuS