Denkmalschutz für McDo

Nichts sieht so alt aus wie die Bauten der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre. Dabei sind die Konstrukte der Moderne Meilensteine der Alltagskultur  ■ Von Hans Wolfgang Hoffmann

Mitleidige Blicke erntet, wer in einen Neubau zieht, vor allem wenn er nicht mehr ganz neu ist. Nichts sieht heute so alt aus wie die Konstrukte, die die Architekturgeschichte „modern“ taufte. Unbehelligt darf man ihren Abriß propagieren. So sanktioniert ein gültiger Bebauungsplan die nahezu komplette Beseitigung des Alexanderplatzes, wo nach wie vor das Herz Ostberlins schlägt. Politiker diverser Couleur forderten kürzlich die Sprengung des „Neuen Kreuzberger Zentrums“, das am Kottbusser Tor seinem Namen alle Ehre macht. Bis heute denkt die halbe Republik angestrengt darüber nach, wie ein wiederaufzubauendes Schloß zum Volkshaus werden könnte, obwohl ein solches in Gestalt des Palastes der Republik am Ort bereits vorhanden ist.

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Niemand protestiert, wenn Plattenbauten mit einer Thermohaut überzogen und entstellt werden. Elegante, ehrliche Fronten, wie die der DDR-Ministerien für Außenhandel und Volksbildung Unter den Linden, dürfen hinter Lochfassaden verschwinden.

Die Bauten der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre scheinen wertlos. Im Stadtbild sind sie die großen Unbekannten. Wer ahnt schon, daß in der Ruine an der Mollstraße/Ecke Prenzlauer Allee einst ambitionierte Wohnkonzepte ausprobiert, Trennwände durch Möbel ersetzt wurden? Wer erinnert sich der Qualitäten des Stadions der Weltjugend, des DDR-Außenministeriums oder des Bürohauses am Kaiserdamm, an deren Stelle heute gähnende Leere herrscht? Während der drohende Verlust jedes Gründerzeitbaus einen Sturm der Entrüstung auslöst, trauert niemand, wenn es der Moderne an der Kragen geht. So konnte gerade der Abbruch der ungarischen Botschaft nahe des Pariser Platzes genehmigt werden. So verschwand vor wenigen Wochen unbemerkt das „Haus an der Spree“ von Klaus Pätzmann und Günter Boy, dessen weiße Natursteinfassade seit 1969 den Fluß entlangstrahlte. Was immerhin Gästehaus des ZK der SED war, wird durch einen postmodernen Büroblock ersetzt. Sogar Beifall findet der Fall des ersten Shop-in- Shop-Einkaufszentrums Berlins, obwohl der vierzig Meter hohe Neubau, der an die Stelle des von Werner Düttmann 1972 fertiggestellten Ku'damm-Ecks treten wird, kaum weniger klotzig zu werden verspricht. Keines dieser Objekte konnte der Denkmalschutz schützen. Denn noch nicht einmal zehn Prozent der so geadelten Gebäude wurden nach 1945 errichtet, obwohl jene gut die Hälfte der Gesamtbaumasse ausmachen.

Woran liegt es, daß die Bauten der Moderne sowenig gelitten sind? Die simpelste Antwort lautet: Sie sind häßlich. Das stimmt. Angesichts des Zustands, in dem wir sie heute sehen, ist es in der Tat schwer, das Gegenteil zu behaupten. Die profane Ursache liegt darin, daß sie sich in einem Alter befinden, da an Gebäuden üblicherweise nichts getan wird. Dabei müßten sie eher mehr als Bauten anderer Epochen gepflegt werden, weil ihre mit Glas, Kunststoff, Metall oder Putz errichteten Fassaden schnell verdreckt wirken, statt würdevolle Patina anzusetzen. Doch selbst wo dies, wie bei den Rathauspassagen, geschieht, mag das Urteil nicht positiver ausfallen. Damit ist freilich nichts über die baukünstlerischen Qualitäten der Bauten gesagt. Wirkungen sind immer zeitabhängig. So wie der Bannstrahl, der einst die Bauprodukte der Jahrhundertwende traf, heute die Moderne trifft, so wird die jüngere Epoche mal das Comeback erfahren, das die ältere jetzt erlebt. Letztlich ist es nur natürlich, daß Kinder die Werke ihrer Eltern geringschätzen.

Die Normalität des Generationenkonflikts mag auch das intellektuelle Argument gegen die Moderne relativieren, sie sei geschichtslos. Auch das ist zum Teil richtig. Es gilt vor allem für ihren Städtebau. Er verstand sich als Gegenmodell zur traditionellen Stadt und stellte sich oft quer zu historischen Baufluchten und Formen. Doch wer sie einfach zurückbauen will, übernimmt gerade den Teil der Ideologie, den er zu hinterfragen vorgibt: Die scheinbare Unvereinbarkeit von Alt und Neu. Dabei gehören gerade jene Werke, die über Jahrhunderte jeweils im Stil der Zeit weitergebaut wurden, zu spannendsten Geschichtenerzählern. Projekte wie das GSW- Haus beweisen, daß, was mit dem Louvre möglich war, auch mit der Moderne machbar ist. Inmitten der neuen, hohen und flachen Scheiben, mit denen die Berliner Architekten Sauerbruch und Hutten die Kochstraße wieder einfangen, wirkt der alte Verwaltungsturm aus den fünfziger Jahren wie ein Edelstein. Alt, neu und ganz neu kommen zu ihrem Recht.

Die Sichtweise, die Moderne als historischen Super-GAU zu betrachten, verstellt den Blick auf ihre Leistungen. So sehr ihr Städtebau geschichtliche Bezüge verneinte, so sehr schrieb sie soziokulturelle Entwicklungen fort. Ihre Wohnungsbauten künden vom Durchbruch der Kleinfamilie. Mit dem Fertighaus brachte die Moderne echte Revolutionsarchitektur: Es ist die Ikone der Demokratisierung einer Gesellschaft, in der die freistehende Villa bis dato ein Privileg für wenige war. Die heute ob ihres fabrikmäßigen Äußeren so geschmähten Schulbauten der Siebziger sind pädagogische Großtaten. Im Inneren eröffnen sie Chancen der Selbstfindung, wo die Lehranstalten der zwanziger Jahre und der Gegenwart nur Wissensvermittlungsstellen sind. Ergo: Die Werke der Moderne sind Meilensteine der Alltagskultur.

Diese Interpretation erklärt auch, warum sie bisher Stiefkinder der Denkmalpflege waren. Sie interessiert sich nicht für das Alltägliche, sondern für das Außergewöhnliche, nicht für den Prototyp der Gegenwart, sondern für das letzte lebende Exemplar der Vergangenheit. So markiert das 1994 im kalifornischen Downey unter Schutz gestellte, älteste McDonald's-Restaurant den seltenen Glücksfall, wo all diese Aspekte zusammentreffen. Weil das nicht immer zu erwarten ist, sollte man nicht erst beginnen, Supermärkte und Kaufhallen vor dem Aussterben zu retten, wenn wir nur noch in Entertainment- Centern konsumieren.