Dubioser Perfektionismus

Denkmalschutz in Berlin ist ein schwieriges Kapitel. Die einen wollen Altes neu herstellen, die anderen plädieren für die historische Lesbarkeit eines Gebäudes  ■ Von Kirsten Niemann

Es wird abgerissen, um neu aufzubauen. Es wird kaputtgemacht, um zu sanieren. Das altertümelnde Hotel Adlon steht bereits an alter Stelle, und die Idee, das alte Stadtschloß wieder aufzubauen, hat ebenfalls ihre Fans. So wird wohl auch der Lustgarten vor dem Schinkelschen Alten Museum – derzeit eine häßliche Baulücke – wohl für lange Zeit noch richtig scheußlich aussehen: Etwas Schinkelmäßiges müsse wieder auf die alte Grünfläche, befand schließlich der Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz, Peter Strieder. Daß die künftige Gestaltung des Grüns mit Brunnen, Wegenetz und von Mäuerchen eingefaßten Rasenflächen mit der Planung Schinkels genauso wenig gemein haben wird wie das NS-Aufmarschgelände, das dort hundert Jahre später entstand, scheint Strieder nicht zu interessieren. Denkmalschutz als gefälliges Neuarrangement, historisierend Nachgebautes als Kulisse.

Denkmalpflege in Berlin war immer schon ein schwieriges Kapitel, wie sich nicht allein an den vielen glatten, vom Stuck befreiten Hausfassaden zeigt. „Eine Zukunft für unsere Vergangenheit“ – so lautete 1975 das Motto zum Europäischen Jahr für Denkmalschutz. Drei Jahre später wurde in Berlin das Gesetz „zum Erhalt und Schutz von Denkmalen“ erlassen. Eine Aufgabe, die in Berlin längst überfällig war. Während man in den sechziger Jahren noch achselzuckend zugesehen hatte, wie der Kreuzberger Bürgermeister, vom Volksmund Dynamit-Willi genannt, den Anhalter Bahnhof und die alte Mosaikfabrik in die Luft jagte, ging man nun dazu über, alles Alte mit gefletschten Zähnen zu verteidigen. Man wollte wiedergutmachen, was in der Nachkriegszeit verpatzt worden war. Verantwortlich für das Denkmalschutzgesetz war der Geist der frühen Siebziger: Architektur und Städtebau der Nachkriegsjahre erschienen in immer negativerem Licht. Historische Bausubstanz war aus dem Stadtbild geräumt worden, an ihre Stelle rückten Trabantenstädte, die man nun als menschenunwürdig erachtete. Die baulichen Entwicklungen der modernen Großstadt galten als unwirtlich, architektonische Träume mutierten zu Traumata aus Beton und Stahl. In der vermeintlichen Häßlichkeit der Moderne witterte man Verderbtheit, im Alten erkannte man hingegen Schönheit und Lebensqualität. Der Sinn des Baudenkmals bestand weniger im Denkmalcharakter seiner selbst als darin, ein Gemütlichkeit verheißender Gegenpol zur mißglückten Moderne zu sein.

Die Denkmalbegeisterung jener Jahre führte zu der Überzeugung, daß „die Denkmale längst schon nicht mehr nur gegen Feinde verteidigt werden müssen, sondern auch gegen ihre Liebhaber“, schrieb Norbert Huse 1985 in dem Ausstellungskatalog Berliner Baudenkmale mit dem Titel „Verloren. Gefährdet. Geschützt.“. Oftmals sei das Gebäude zwar erhalten, das Denkmal selbst jedoch zerstört worden. Denn für die Gesellschaft, so Huse, seien Denkmale nicht etwa Zeugnisse von Geschichte und Vergangenheit, sondern Objekte von Geschmacksurteilen. Wo liegt schon der Unterschied zwischen bewahrtem Alten und neu Nachgebautem? Huse: „Die selbst in Amtsstuben grassierende Verwechslung von Denkmalschutz und Stadtbildpflege ist nur eine von vielen Konsequenzen solcher Mißverstände.“

Die Bewertung von Denkmalen ändert sich ständig: Ging man in den Nachkriegsjahren noch sorglos mit den Epochen des Historismus und des Jugendstils um, erkennt man heute auch die Qualitäten der Architektur der fünfziger und sechziger Jahre. Inzwischen gilt ein Bauwerk als schützenswert, wenn es nicht nur einen bestimmten Alterswert hat, sonden auch historisch, kunsthistorisch und städtebaulich einen besonderen Rang einnimmt. „Ein Denkmal muß einen gewissen Anschauungswert haben“, sagt Landeskonservator Jörg Haspel. Ein Kriterium, das insbesondere bei schwierigen Kapiteln deutscher Geschichte Probleme aufwirft. Haspel: „Heute zeigen sich in der Denkmalpflege zwei Strömungen“ – die einen wollen alte Bausubstanz heilen, fehlende ergänzen und Altes neu herstellen wie beim Alten Museum. Andere plädieren für die historische Lesbarkeit des Gebäudes. Dabei geht es ihnen nicht um die Wiederherstellung eines Urzustands, sondern um die Authentizität der Gebäude in ihren Epochen. Alle Schichten der Bauphasen sollen erkennbar sein. Beste Beispiele für Berlin: das ehemalige Staatsratsgebäude der DDR und das künftige Finanzministerium, ein Nazibau, der bereits zu DDR-Zeiten überformt und dann von der Treuhand verwaltet wurde. „Im Mittelalter haben sie sich schließlich auch nichts dabei gedacht, eine Kirche, die im romanischen Stil begonnen wurde, gotisch weiterzubauen,“ sagt Haspel.

Heute neigt man dagegen zu einem dubiosen Perfektionismus. Während sich die Welt darüber streitet, ob ein wiederaufgebautes Stadtschloß eine Daseinsberechtigung habe, kam dem Berliner Bauhistoriker John Lochner-Griffith schon vor Jahren eine recht gute Idee: Wieso nicht an seiner Stelle einen kleinen Pappelwald errichten, „die verruchtesten Bäume überhaupt“? Vom Wiederaufbau des Schlosses hält er gar nichts. „Weg ist weg“, heißt seine Devise. Ein Gebäude, das es längst nicht mehr gibt, durch eine Replik zu ersetzen habe mit Denkmalpflege nichts zu tun. Jeder neue Bauauftrag sollte ein echtes Bedürfnis befriedigen, findet der Bauhistoriker. Und solange man noch debattiere, könne es wohl keines geben, oder? „Was könnten die Berliner schon dringender brauchen als ein kleines Wäldchen mitten in der Stadt?“