Der Dabeibleiber

16 Jahre lang war Mainhardt Graf Nayhauß Journalist am Hofe Helmut Kohls. Wie verkraftet es der „Bild“-Kolumnist, daß er nun rot-grüne Minister porträtieren muß?  ■ Von Robin Alexander

Vom Kanzleramt aus läuft man keine fünf Minuten bis zu der unauffälligen Reihenvilla, vor der ein von einem Landschaftsgärtner sorgfältig angelegter Vorgarten liegt, sehr klein, aber mit einem Pavillon, wie man ihn sonst nur in Schloßgärten findet. Hier wohnt der dienstälteste Bonner Journalist, der laut Bunte „der mächtigste Reporter Bonns“ ist. Er heißt Mainhardt Graf Nayhauß und schreibt viermal pro Woche auf Seite 2 der Bild-Zeitung „Bonn vertraulich“. Die Kolumne ist seit 1982 die Leidenschaft des kleinen Mannes und ein Job, der nie schwieriger war als heute.

Sechzehn Jahre lang hat Nayhauß die Leser teilnehmen lassen an seinem Leben am Hofe Kohl. Er war Kohl nicht nur nah, er hatte Tuchfühlung. Nayhauß hat Kohls „Hosengürtel aus Krokoleder“ gesehen, des Kanzlers Lieblingswein „Deidesheimer Kieselberg“ mitgetrunken, und er hat den Vornamen seines Kochs gekannt – alles hat er in Bild beschrieben. Mochte die Konkurrenz auch spotten, als der Kolumnist 1994 enthüllte, daß die Klobrille im Kanzlerjet Übergröße hat. Ganz nah am Kanzler kam einfach an beim Leser.

Und jetzt?: „,Tschüs, dito!‘, sagte der Kanzler, und meinte: ,Grüßen Sie ebenfalls Ihre Frau.‘“ Am 28. September, dem Tag nach der Wahl, war Melancholie in den Zeilen des Kolumnisten: „,War das vielleicht unsere letzte gemeinsame Reise als Kanzler und Chronist‘, fragte ich mich unlängst. Seit gestern abend weiß ich: ,Ja, das war's.‘“ Heute sitzt Nayhauß in seinem Büro-Archiv mit den schrägen Dachwänden, reicht freundlich Plätzchen zum Kaffee und tut so, als sei gar nichts passiert. „Ein Journalist darf Politiker niemals zu nah an sich heranlassen.“ Er doziert über den hehren Grundsatz, als sei er nichts Überraschendes aus seinem Mund. Dabei ist Nähe zur Macht sein Geschäft seit fast vier Jahrzehnten. Sogar getauft hat Helmut Kohl den Kolumnisten, auf den Spitznamen „Maini“.

„Maini“, das ist eigentlich viel zu flapsig für diesen freundlichen, 72 Jahre alten Herrn, der Pünktlichkeit schätzt und die korrekte Anrede. „Mit niemandem im alten Kabinett war ich per du!“ beteuert er heute. Im Regal hat er zwar einige Meter Notizbücher über Kohl und die Seinen – „aber in meinem Vertrag steht: Zwei von vier Kolumnen in der Woche handeln möglichst vom Kanzler.“ Nicht: „von Kohl“, betont er. So argumentieren in Bonn derzeit nur politische Beamte, die unter der neuen Regierung um ihre Posten fürchten.

Dabei kennt Nayhauß Politik und Journalismus in Bonn seit den 50er Jahren, als er für den Spiegel aus der provisorischen Hauptstadt berichtete. Für Nayhauß ist diese Zeit nur ein paar Schritte von seinem Schreibtisch entfernt, und diese Schritte zu dem Schrank, der seine Vergangenheit verwahrt, geht er langsam, leise. Feingliedrig streicht er über die angegilbten Artikel, die er in dicke Wälzer hat binden lassen: Seine großen Stories aus der vor Ewigkeiten eingegangenen Illustrierten Jasmin.

Jederzeit im Griff ist aber auch die Jetztzeit: Sechs Fernseher hat er in seinem Büro. Jeden Tag zwischen 18 und 20 Uhr laufen dort die Boulevardmagazine der großen Sender ohne Ton. Wenn ihn irgendwas interessiert, zum Beispiel ein Bonner Politiker, der eine Festveranstaltung eröffnet, dann dreht er laut, erzählt Nayhauß. Eine seiner Töchter arbeitet bei der Pro7- Sendung „Sam“. Die Zeiten fügen sich scheinbar harmonisch zusammen: Würde sein nagelneuer PC einmal ausfallen, Nayhauß könnte auf einem unförmigen Computer weiterschreiben, der vor zwanzig Jahren einmal 20.000 Mark kostete, wie er erzählt. Kein Staubkorn liegt auf dem Ungetüm, es könnte sofort wieder losgehen.

Nayhauß hat alles erlebt. Er war längst in Bonn, als Helmut Kohl 1976 in den Bundestag kam.

Jetzt sind Kohl und die Seinen weg und mit ihnen viele Informanten. Nayhauß bleibt unerschrocken. Zwar kenne er im „Unterbau“ der neuen Regierung bislang kaum Insider, „bald jedoch wird das Eis dicker sein als vorher“, prophezeit er.

Aber hat es Mainhardt Graf Nayhauß überhaupt noch nötig, sich an den roten Aufsteiger Schröder ranzuschmeißen? Er hat. Denn ohne seine Berichte aus Bonn kann der elegante Senior nicht sein. Mit dem Wort „Infotainment“ beschreibt Nayhauß den Stil der Kolumne, die es schon lange gab, bevor der Begriff erfunden war. Schlicht „erzählen, erzählen“, sagt er. Die Fassade der Macht detailverliebt schildern, ohne dahinter zu blicken. „Politik wird von Personen gemacht, Themen lassen sich nicht verkaufen.“ Was interessiere denn an den 620-Mark-Jobs außer der Krach darum? Das politische Bonn ist für ihn „ein wunderbares Theater“. Er inszeniert es täglich für seine Leser, um selbst mitspielen zu dürfen.

Jetzt schon hat er eine Zweitwohnung in Berlin, um auch künftig dabeizusein. Und, klar, er freut sich darauf. „Dabeisein ist alles“, so tröstet man Verlierer. Nayhauß hat den Spruch zu seiner persönlichen Lebensmaxime uminterpretiert. Und was wäre Mainhardt Graf Nayhauß, wäre er nicht mehr dabei? Nichts scheint er so zu fürchten wie das Ende. Er, der aus der Kriegsgeneration kommt, die noch den Unterschied zwischen Strategie und Taktik kannte, spricht heute von „credit“, wenn er Ruhm meint.

Und am neuen Ensemble entdeckt er auch unverhoffte Vorzüge: „Im neuen Kabinett gibt es immerhin drei, die ihren Wehrdienst geleistet haben. Von den alten Ministern hatte nicht einer gedient.“ Ansonsten freut er sich auf „neue Lebensläufe“, spielt auch mit den Neuen sein altes Spiel: „Wer hervorragend bedient, den qualifiziert man nicht ab.“

So hat der kleine Reporter mit den großen Ohren bereits bei fast allen der neuen Minister Einlaß gefunden. Joschka Fischer, der mit Nayhauß vom Kanzleramt bis zu seiner Wohnung spazierte, läßt sich in dessen Kolumne zitieren: „Ich frage mich auch, warum ich damals nicht den geraden Weg gegangen bin.“ Zur Belohnung entschuldigt Nayhauß vor den Bild- Lesern Fischers Revoluzzervergangenheit als „Selbstbildung auf harten Umwegen“. Trotz aller Umwege sind sie jetzt an der Macht, und das ist, so Nayhauß, kein Unterschied. Damals nannte er Irmgard Adam-Schwaetzer „Irmchen“, heute träumt er in seiner Kolumne von Andrea Fischer („jene zarte Fülligkeit, die viele Männer lieben“).

Aber wehe, jemand kehrt dem Grafen mit der Millionenleserschaft einfach den Rücken, wie es Michael Naumann und Jürgen Trittin wagten. „Die rechnen nicht damit, daß ich das genau so aufschreibe“, droht er lächelnd. So wird dann „der Umweltminister, der mir nicht in die Augen schauen will“, vernichtend geschildert. Das Böseste, was Nayhauß schreiben kann, bewahrt er sich für den letzen Satz: „Der Wirtschaftsminister sitzt näher am Ohr des Kanzlers als er.“

Wie nah er selbst dem neuen Kanzler schon wieder ist, beweist Nayhauß sich selbst durch ein großes Foto, das er an ein Regal hinter seinem Schreibtisch gepinnt hat. Schröder doziert im Flieger nach Washington umringt von Journalisten. Und ganz nah am Kanzler sitzt Nayhauß.