"Wir müssen Bürgerrechte sichern"

■ Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) über die Bekämpfung der Kriminalität, die Kompetenzen der Geheimdienste, die Reform des Justizwesens und das politische Strafrecht nach dem Ende der RAF

taz: Wird die rot-grüne Kriminalpolitik liberaler sein als diejenige der Vorgängerregierung?

Herta Däubler-Gmelin: Sie wird vor allem sachangemessen sein. Die alte Koalition hat oft viel zu hektisch auf gesellschaftliche Diskussionen reagiert. Denken Sie nur an die häufig unsystematischen Verschärfungen des Sexualstrafrechts. Da hatten die Verantwortlichen noch nicht den Text der einen Änderung erhalten, da wurde schon eine neue beschlossen.

Rot-grüne Rechtspolitik wird also nicht durch die bloße Verschärfung von Strafdrohungen Aktivität vortäuschen?

Es kann durchaus im Einzelfall auch einmal sinnvoll sein, einen Strafrahmen zu erhöhen. Aber es darf nicht bloß die Reaktion auf ein besonders scheußliches Verbrechen sein.

Im Wahlkampf haben Sie angekündigt, daß Sie im Strafrecht „aufräumen“ wollen. Was haben Sie vor?

Habe ich „aufräumen“ gesagt?

Ja.

Dann aber noch weiteres dazu. Isoliert ist der Begriff mißverständlich. Es geht mir vor allem darum, Ungereimtheiten in der Strafandrohung zu beseitigen.

Genau das hat doch schon Ihr Vorgänger Edzard Schmidt-Jortzig versucht und im vorigen Jahr auch zum Abschluß gebracht.

Wir waren aber schon damals nicht zufrieden. Ich will Ihnen ein Beispiel sagen: Auch nach der letzten Reform wird die Vergewaltigung von geistig behinderten Frauen geringer bestraft als die von gesunden Frauen. Dabei ist eine derartige Tat gegenüber einer wehrlosen Person doch eher noch schlimmer. Solche Dinge wollen wir geraderücken.

Kann nach dem Ende der RAF nicht auch das politische Strafrecht entrümpelt werden?

Konkrete Pläne gibt es dazu bisher nicht.

Bei der Strafverfolgung hat die Polizei in den letzten Jahren immer mehr Befugnisse erhalten: Rasterfahndung, Lauschangriff, verdeckte Ermittler. Sehen Sie hier Korrekturbedarf?

Die Kriminalität hat sich ja stark verändert und nutzt zum Beispiel neue Technologien. Die Bürger erwarten deshalb zu Recht, daß der Staat seine Kompetenzen entsprechend anpaßt.

Auch wenn die Bürgerrechte dabei auf der Strecke bleiben?

Nein, natürlich nicht. Wir brauchen neue Sicherungen für die Bürgerrechte, gerade bei der geheimdienstlichen Tätigkeit und der sogenannten Vorfeldarbeit der Polizei. Allerdings habe ich noch keine fertigen Konzepte. Ich will deshalb im nächsten Sommer einen Kreis von Verfassungsrechtlern und Fachleuten zusammenbringen, der dazu Vorschläge erarbeiten wird.

Warum erst im nächsten Sommer?

Im Dezember verhandelt das Bundesverfassungsgericht über die Befugnisse des Bundesnachrichtendienstes bei der Verbrechensbekämpfung. Den Ausgang dieses Verfahrens möchte ich abwarten.

Bei der Telefonüberwachung wird aber schon länger Handlungsbedarf gesehen.

Ja, bei der strafprozessualen Telefonüberwachung. Da wird zuviel abgehört. Dies muß wieder auf ein rechtsstaatlich vertretbares Maß zurückgeführt werden. Hier hat die Justizministerkonferenz der Länder schon vor etwa einem Jahr begonnen, Vorschläge zu erarbeiten. Ich gehe davon aus, daß diese Vorschläge in den nächsten Monaten vorliegen werden.

Welche Veränderungen sind dabei denkbar?

Man könnte zum einen den Katalog der Straftaten einschränken, zu deren Verfolgung das Abhören erlaubt ist. Zum anderen könnte man aber auch für die Genehmigung der Telefonüberwachung nur noch besonders erfahrene Strafrichter einsetzen.

Die Angst vor Kriminalität ist in den letzten Jahren viel stärker angestiegen als die tatsächliche Kriminalität. Wird die neue Bundesregierung hier gegensteuern?

Ich finde es ganz wichtig, daß wir bestehende Ängste sehr ernst nehmen.

Diese Ängste sind doch aber politisch geschürt worden und zum Teil völlig überzogen. Ist da nicht eher Aufklärung erforderlich?

Auch. Tatsächlich ist die Gefahr von alten Leuten, Opfer einer Straftat zu werden, viel geringer als etwa die von jungen Männern. Und dennoch ist die Kriminalitätsfurcht bei alten Menschen am höchsten. Man muß die Lage differenziert sehen und das auch den Menschen vermitteln.

In der alten Bundesregierung bestand häufig eine „Arbeitsteilung“ zwischen dem Innen- und dem Justizministerium. Während Manfred Kanther für die scharfen Töne sorgte, äußerte Edzard Schmidt-Jortzig rechtsstaatliche Bedenken. Wird sich dies in Ihrem Verhältnis zu Otto Schily fortsetzen?

Das war früher ja wohl auch eine Mentalitätsfrage. Otto Schily und ich haben dagegen eher ein ähnliches Temperament.

Finden auch Sie, daß in Deutschland die „Grenzen der Belastbarkeit“ durch Zuzug von Ausländern „überschritten“ sind?

Otto Schily wollte darauf hinweisen, daß es bei mehr als drei Millionen Arbeitslosen ein völlig falsches Signal wäre, zu neuem Zuzug einzuladen.

Schily hat ohne ersichtlichen Anlaß ein ziemlich schlechtes Signal für die rot-grüne Integrationspolitik gegeben.

Die Bundesregierung – übrigens im Verantwortungsbereich von Otto Schily – bringt derzeit das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht auf europäischen Standard. Das ist ein sehr gutes Signal unserer Integrationspolitik.

Einige Vorhaben wollen Sie schon in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit angehen, die Justizreform, das Strafgeld für Ladendiebe, die eingetragene Partnerschaft für Homosexuelle. Wann wird man Einzelheiten erfahren?

Ich werde bei Ablauf dieser Tage, also im Januar zu allen drei Projekten Eckpunkte vorlegen. Interview: Christian Rath