Löhne sind immer das erste Thema

■ In anderen europäischen Ländern zeigten sich Gewerkschaften meist kompromißbereit

In den Bonner Gesprächen über ein Bündnis für Arbeit soll über Löhne möglichst nicht gesprochen werden, fordert die IG Metall. Ob es am Ende aber nicht doch zu Absprachen kommt, die für die Unternehmen Personalkosten senken, bleibt abzuwarten. In den Sozialpakten, die in anderen europäischen Ländern abgeschlossen worden sind, spielten Lohnabsprachen jedenfalls immer eine Rolle. „In allen sozialen Pakten steht eine Vereinbarung über eine moderate Lohnentwicklung an erster Stelle“, resümiert Anke Hassel vom Max- Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln in den Gewerkschaftlichen Monatsheften.

Hassel verglich soziale Pakte zwischen Regierungen, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften in zehn europäischen Ländern in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren. Die Bereitschaft der Gewerkschaften, niedrige Lohntarifverträge nicht nur für ein Jahr, sondern längerfristig abzuschließen, sei in allen Fällen die zwingende Vorbedingung für weitergehende Vereinbarungen gewesen. Die Lohnentwicklung wurde dabei beispielsweise durch Lohnleitlinien über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren für die gesamte Volkswirtschaft festgelegt, so wie in Irland. In Italien einigte man sich darauf, daß die Löhne die Preissteigerung nicht wesentlich übersteigen sollten. In Belgien und den Niederlanden vereinbarten Arbeitgeber und Gewerkschaften, daß sich die Lohnentwicklung an anderen europäischen Ländern orientieren müsse.

In Portugal wurde sogar eine feste Lohnleitlinie vereinbart, nach der die Faustregel gilt, daß Lohnerhöhungen nur knapp die Hälfte der Produktivitätszuwächse betragen dürften. In Italien waren die Löhne früher automatisch an die Preisentwicklung gekoppelt, diese Koppelung wurde im Rahmen eines Sozialpaktes aufgehoben.

Die zentralen Lohnvereinbarungen in den europäischen Ländern bedeuteten dabei nicht unbedingt, daß Tarifverhandlungen keine Bedeutung mehr hatten. Vielmehr gewannen durch die zentralen Vorgaben dezentrale Tarifverhandlungen und betriebliche Vereinbarungen an Gewicht, betont Hassel. In Italien beispielsweise wurden erst die automatische Koppelung der Löhne an die Preissteigerungen aufgehoben und danach zwei Ebenen von Tarifverhandlungen eingerichtet: Einmal steuerten zentrale Verhandlungen die allgemeine Lohnentwicklung, darunter legten Vereinbarungen in Branchen und Betrieben noch einmal die relativen Lohnniveaus fest.

Grundsätzlich stellte sich in allen Sozialpakten die Frage, wie Arbeitslosenunterstützung und andere Transferleistungen durch die öffentliche Hand umgewandelt werden können, um Arbeitsmöglichkeiten und „Anreize“ zur Arbeitsaufnahme zu schaffen. In fast allen der untersuchten europäischen Länder wurden neue Jobprogramme insbesondere für Langzeitarbeitslose oder ethnische Minderheiten (Holland) entwickelt, stellt Hassel fest. Barbara Dribbusch