Analyse
: Spagat der Bischöfe

■ Das "Wort zur Familie": Die Kirche kämpft um gesellschaftlichen Einfluß

Mit der Berliner Republik hat die katholische Kirche so ihre Probleme. Nicht mehr aus dem katholischen Rheinland, sondern aus dem protestantischen Preußen wird das Land demnächst regiert. Zur neuen rot-grünen Regierung, in der die Hälfte der Minister auf Gottes Hilfe beim Amtseid verzichteten, müssen die auf die beiden C-Parteien abonnierten Oberhirten noch den richtigen Zugang finden. Und schließlich ist Berlin die Stadt, die wie keine andere das Gegenmodell der von der Kirche propagierten Familie darstellt: 125.000 nichteheliche Lebensgemeinschaften und 136.000 Alleinerziehende haben andere Vorstellungen vom Zusammenleben als die Bischöfe.

Spagat der Bischöfe Das „Wort zur Familie“: Die Kirche kämpft um gesellschaftlichen Einfluß

Gerade hier stellten die Bischöfe nun gestern ihr Wort „Ehe und Familie – in guter Gesellschaft“ vor, in dem sie vor der Benachteiligung der Familie warnen. „Strukturelle Rücksichtslosigkeit“ mache Eltern und Kindern das Leben schwer. Dabei sei die Familie „Ort der Menschlichkeit“ und Grundlage für Gesellschaft. Die Politik solle den Lebensbedingungen der Familien gleiche Bedeutung schenken wie den Standortbedingungen der Wirtschaft. Die geplante Gleichstellung der homosexuellen Lebensgemeinschaften dagegen lehnen die Bischöfe harsch ab. Solche Bestrebungen seien „schädlich für die Menschen und von Grund auf zerstörerisch für die Gesellschaft“.

Die harten Worte kommen nicht von ungefähr. Die katholische Kirche merkt, daß sie im politischen Prozeß an Boden verliert und ihr Profil schärfen muß. Auch in Zukunft will sie darüber mitreden, wie die Gesellschaft aussehen soll. Da gilt es zu verhindern, daß es nach französischen Vorbild zur Gleichstellung aller Lebensgemeinschaften kommt. Kirche und Gesellschaft reden inzwischen verschiedene Sprachen. Für manchen Katholiken ist das Hirtenwort ein liberales Statement, weil anerkannt wird, daß Ehen scheitern und Menschen allein Kinder erziehen. Für Rot-Grün, das seine Familienpolitik nicht gewürdigt sieht, ist es vor allem ein Schuß gegen die Homo-Ehe.

Der Anspruch der Kirche auf politische Mitsprache stützt sich auf die Vertretung von 26 Millionen Gläubigen und die Tradition der Volkskirchen. Der Spagat der Kirchenführer wird allerdings immer größer: Einerseits verkünden sie konservative Familienwerte, die sich neben der Angst vor der Homo-Ehe vor allem gegen die völlige Individualisierung und ein neoliberales „Jeder ist sich selbst der Nächste“ stellen. Andererseits wissen die Kirchen auch, daß gerade ihre Gläubigen zwar grundsätzlich die Familienwerte für wichtig halten – sich in der persönlichen Lebensgestaltung aber immer weniger danach richten. Bernhard Pötter