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Die Textmasse als Pingpongballschauer

Dreieinhalb Stunden Rauschen: Christof Nel enttäuscht mit seiner Interpretation von Elfriede Jelineks „Ein Sportstück“ am Schauspielhaus  ■ Von Christiane Kühl

Es beginnt, wie es endet: mit der Unschuld. Die selbstverständlich eine verlorerene ist, und das von Anfang an. Im Theater ist es still und dunkel, geheimnisvoll neblig auf der Bühne, da tritt ein Mädchen im weißen Kleid tritt auf, besteigt den Schwebebalken und zeigt eine kleine Kür. Das ist gefährlich, weil seine Beinchen zittern und es um Balance vor den Augen des Publikums ringt; zittern um das Kind wird aber nur die Mama. Alle anderen haben sowas schon sehr oft im Fernsehen gesehen. Selbstverständlich besser.

Elfriede Jelineks Ein Sportstück ist ein Stück über die Stählung der Körper, über ihre Konditionierung und Entindividualisierung durch die geforderte Einreihung in die Masse. In den Verein, in den Feldzug, in die Welle im Stadion, in das Absorbieren mediensuggerierter Norm. „Der Sport ist die Organisation menschlicher Unmündigkeit, welche in 70.000 Personen gesammelt und dann über ein paar Millionen daheim vor den Bildschirmen ausgegossen wird“, erklärt „das Opfer“ in Jelineks mit antiken Motiven und Strukturen operierendem Drama. „Der Golf GTI ist die Dienstkleidung dieses Körpers“, ergänzt der Chor.

Masseninszenierungen und Monumentalbilder kommen in Christof Nels Inszenierung, die am Freitag im Schauspielhaus reichlich bebuhte Premiere feierte, nicht vor, obwohl Nel mit über dreißig Schauspielern fast das gesamte Ensemble auf die Bühne holt. Er hat alles in kleine Einheiten zerlegt; schon die Rolle der Mutter, deren Monolog das Stück eröffnet, verteilt er auf drei – männliche – Schauspieler. Der Chor zerfällt in eine Vielzahl von Stimmen, allein Silvia Rieger als „Autorin“ gibt eine (wieder-)erkennbare Figur. Doch der Wucht des Textes ist mit dieser Art der Differenzierung nicht beizukommen, im Gegenteil: statt mit dem Speed eines Baseballs oder der Geschlossenheit einer Frontlinie kommt er wie ein Pingpongballschauer gleichmäßig überall herunter und tut nirgends weh, hinterläßt keine Spuren.

Stefan Mayers Bühne zeigt wechselnde, stets desolat wirkende Räume. Das vorbeiziehende Fitneßstudio ist ein Kerker mit Monsterschau, die Umkleidekabine ist ein Frachtaufzug, der Saal mit den vielen Ledersesseln ist ein verlassener, und die griechischen Säulen sind halb und hohl. Auch hier wird mit allem aufgewartet: Die Bühne dreht sich und senkt sich ab, vom Himmel fallen Steine und Beine, von der Rückwand werden Bälle zum Publikum geschlagen, doch der Text ist mächtiger als alle vorbeihuschenden Bilder und kann sich trotzdem nicht durchsetzen. Er rauscht dreieinhalb Stunden in den Ohren des Publikums. Ab und an schafft ein komplexer Satz dieses Endlosmonologs mit multipler Stimme den Sprung ins Verständnis, dann leuchtet er ein paar Minuten, doch währenddessen sind schon wieder drei Kubikmeter Text vorbeigeflossen, die ohne Akzentsetzung ein Rauschen bleiben. Den Körper als Panzer hat Christof Nel wie eine Farce inszeniert, obwohl es sich um moderne Tragödie handelt.

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