Farben, Flittchen, Ideenshops etc.
: Kickern und fördern

■ Vom Charme des öffentlichen Privaten im Berliner Nachtleben

Tanzen total oder einfach nur Bier trinken, Musik hören und reden? Eigentlich keine Frage, die die Welt bewegt. Höchstens die Stadtzeitungen, die von der Clubstadt Berlin nicht genug bekommen und immer wieder den Versuch starten, den ultimativen Überblick zu verschaffen. Was niemals gelingt, da Unübersichtlichkeit, Spontanität und das Gewerbeaufsichtsamt dagegen etwas haben, und man sowieso zwischen Club, Galerie und Wohnzimmer keine eindeutigen Zuordnungen mehr findet. Es wird ausprobiert, improvisiert, und man läßt die Clubgänger wie im „Casino“ mit Bällen auf Dosen um ihr Eintrittsgeld werfen.

Oder man nennt sich „Ideenshop“ und verdeutlicht, daß zwischen Berliner Aufbruchsstimmung und der Ironie und dem Abgesang auf selbige keine großen Unterschiede bestehen. Der montags und freitags geöffnete Ideenshop ist die mittlerweile typische Mitte-Mischung aus Galerie, Club und Lounge. Hier regiert der Charme des Privaten, hier trifft man sich in zwei großen Räumen einer Ladenwohnung und wohnt beispielsweise der Record-Release-Party von Farben bei. Da sind zwar die Weißpressungen nicht pünktlich gekommen, doch eigentlich ist das auch egal. Die Freunde sind da, lümmeln sich auf den paar Sitzgelegenheiten oder gruppieren sich um den DJ-Tisch, wo Farbens Jan Jelinek Platten auflegt.

Wie in Amerika sei das ja, scherzt einer, da würden die Kids auch immer um den DJ-Pult rumstehen, wohl wissend, daß auch hierzulande die Rockvenues grüßen und jeder DJ seine Jünger hat, die gespannt jede Handbewegung der Meister verfolgen.

So berühmt ist Jan Jelinek noch nicht, doch immerhin gab es über ihn schon eine Story in der De:Bug. Als Darmstädter mit Plattenlabel in Frankfurt studiert Jelinek in Berlin und produziert elektronische Sounds, die nicht unbedingt nach Kölner Minimal- Techno klingen, von diesem aber inspiriert sind. Tracktitel wie „Sexing Dean Martin“ oder „Oh love, well we finally made it“ tun dann sicher ihr übriges, um Farben bald auch in Hamburg zu einem Begriff zu machen.

Schützen und Fördern statt Geben und Nehmen ist auch die Idee, die hinter dem Mittwochabend im Maria am Ostbahnhof steht. Da laden die beliebten Hamburger Musikerinnen (Vorsicht, kleiner Scherz!) Almut Schummel und Christiane Rösinger in ihre Flittchenbar, die ganz antizyklisch die No-DJ-Abende auf dem Programmzettel stehen hat. In Hamburg waren es neunhundert Leute, die die Lassie Singers bei ihrem allerletzten Konzert sahen, die Flittchenbar an diesem Mittwoch dagegen zählt wahrscheinlich nicht mal ein Zehntel davon. Aber auch hier wird erstmal nur privatisiert. Da heißt es Lieblingsmusik aus dem Ghettoblaster hören und sich von Rösinger oder Schummel höchstpersönlich den Caipirinha mixen lassen. Man unterhält sich über das Schicksal von Sigurd Müller und Tobias Gruben oder spekuliert, wie die neue, Ende Januar erscheinende Platte von Blumfeld wohl klingen wird und warum sie ausgerechnet „Old Nobody“ heißt. Da aber auch die Flittchenbar ein wenig mehr Besuch vertragen kann, wird es vom nächsten Jahr an mittwochs auch Konzerte geben, zumal die auf Flittchen Records erschienene „Compilation of Female Gesang, Gitarren und Elektronik“ genug an auftrittswilligen Bands bereithält.

„Stolz und Vorurteil“ heißt der Sampler, der daran appelliert, daß auch dem aufgeklärtesten Mann in Indieland „ein seltsames Gefühl beschleichen“ sollte, „wenn er bei den wichtigsten Dingen des Lebens immer noch unter seinesgleichen ist“ (Christiane Rösinger). Nun denn, auf „Stolz und Vorurteil“ gibt es große und kleine Songs, gute und schlechte – wie unter Männern halt. Ob das Album aber „eine eigene Kolumne ersetzt, fordert oder prohphezeit“, wie das in der aktuellen Spex steht, sei einmal dahingestellt. Das wäre eher kontraproduktiv und würde ähnlich müßig sein wie Diskussionsrunden, die sich Fragen nach dem weiblichen Schreiben stellen.

Wenn alles nichts hilft, tut es aber auch der Kickertisch. Der erfreute nämlich gleichermaßen Männer und Frauen im Hinterzimmer des Ideenshops. Wer da aber auf den Gedanken kommt, daß Kickern möglicherweise doch besser als Clubben ist, wird mit Ausgehverbot nicht unter einer Woche belegt! Gerrit Bartels

Ideenshop: Mo. 21–1 Uhr, Gartenstr. 1, Mitte; Flittchenbar: Mi. ab 23 Uhr, Straße der Pariser Kommune 8–10, Friedrichshain