Stigma der Versehrtheit

■ „Hauptsache Leben“: Brustkrebs in Zeiten des Wonderbra (20.15 Uhr, ZDF)

Die Zeitschriftenregale biegen sich unter der Last von Millionen Busen-Blättchen, und soeben werden wieder mal Nacht für Nacht die Lichtreklamekästen aufgebrochen und Mega-Plakate geklaut, auf denen Models für den Edel- Dessous-Schneider „Palmer“ posieren: Trotz 30 Jahren aufgeklärter 68er Penthesileas definiert sich sexuelle Attraktivität mehr denn je über den Busen.

Wie sehr, erfährt Corinna, eine lebenslustige, emanzipierte Frau von 38. Eben noch hatte sich die Modeschneiderin nach einer liebevollen Nacht von ihrem jungen Lover Ritchie verabschiedet, von Freundin Kiki, von ihren kleinen Töchtern Romy und Lulu, die sie allein großzieht, um in die Klinik zu fahren. Es sollte nur eine winzige Gewebeprobe aus der Brust entnommen werden, nachdem da plötzlich ein kleiner Knoten war. Jetzt erklärt ihr der Arzt, er habe auf der Stelle amputieren müssen: Brustkrebs.

In der Realität ist diese Krankheit die häufigste Todesursache bei Frauen. Was sich im Film dann weiter abspielt, ist aber zum Glück kein Rührstück, wie die Programmierung in dunkler Adventszeit kurz nach dem Welt-Aids-Tag vermuten lassen könnte. Dazu ist die 36jährige Regisseurin Connie Walther, die das Handwerk des Filmemachens von der Pike auf gelernt hat und bei Leuten wie Dominik Graf assistierte, zu sehr Realistin. Zusammen mit ihrer Co-Autorin Anke Schenkluhn, deren gemeinsamer unlängst bei den „Wilden Herzen“ der ARD gezeigte Debütfilm „Das erste Mal“ gleich mehrere Preise einheimste, erzählt sie sehr vital die sorgsam ausgestattete Geschichte von den Wechselbädern der Gefühle. Wie es ist, mit dem Stigma der Versehrtheit leben zu lernen? Corinna wird umgehend von Ritchie verlassen: „Wie in echt“, berichtet Connie Walther von ihren Recherchen, bei denen sie „enorm viele Frauen in gleicher Situation“ traf. Die Kranke verheimlicht krampfhaft ihren Zustand und die Amputation, schreit die Kinder zusammen, stößt die Freundin vor den Kopf, weist einen neuen Freund immer wieder brüsk zurück, willigt schließlich in eine Vernunftehe mit dem Jugendfreund Dominic ein.

Regisseurin Walther wollte Corinnas Geschichte „so ambivalent wie möglich“ darstellen: „Es ist mir lieber, die Leute gehen ratlos raus und fangen dann an zu denken.“ Also: Welche Amputation ist schlimmer? Ulla Küspert