Nur für Freundinnen

■ Einkaufen als Geschenk – Wiederkehr des Gabentauschs in der Konsumgesellschaft

Kurz vor Weihnachten, wo wir uns im Kalenderjahr ja gerade befinden, erinnern uns sensible Zeitgenossen in erstaunlich ausdauernder Regelmäßigkeit des Konsumterrors. Er kommt über uns wie der Leibhaftige über die arme Seele. Wie soll man sich bloß davor schützen? Das Ausrufen eines Kauf- nix-Tages, wie es kürzlich auch von dieser Zeitung praktiziert wurde, scheint da wenig zu helfen. Denn raffiniertes Geschäftsgebaren kommt inzwischen nicht selten als Geschenk daher.

Vor einigen Wochen haben wir eine Reise gewonnen. Nicht wirklich. Wir hatten an einer Umfrage teilgenommen, in der wir bereitwillig Auskünfte über unsere nicht vorhandenen Euro-Ängste erteilt haben. Als Prämie für die dargebotene Aufmerksamkeit erhielten wir einen einwöchigen Aufenthalt in einem Vier-Sterne-Hotel auf Malta. Die Flugkosten hatten wir selbst zu tragen.

Warum nicht Malta, hatten wir uns gefragt, wohl ahnend, daß wir mittels des Geschenks in eine ganz gewöhnliche Urlaubsverschickung verstrickt wurden. Tatsächlich hatten wir ein schlechtes Gewissen, als wir uns schon nach der ersten Nacht über den Zustand des etwas schmuddeligen Hotels bei der Reiseleitung namens Media beschwerten.

Das Gewissen kam ins Spiel, weil wir uns nicht in einer Situation des Äquivalententauschs, also Reise gegen Geld, sondern in einer des Gabentauschs befanden. Es war ja gerade der Hotelaufenthalt, den wir geschenkt bekommen hatten. „Die Gabe“, so hat es der Ethnologe Marcel Mauss im gleichnamigen Buch bereits 1925 erklärt, ist Basishandlung innerhalb eines verzwickten Systems von Gaben und Gegengaben, auf das viele archaische Gesellschaften ihr politisches, soziales und ökonomisches System gegründet haben. Das Schicksalhafte, also wahrhaft Fatale an dem Gabensystem ist, daß man nicht aus dem Spiel herauskommt. Geschenke verpflichten zu Gegengeschenken. Wir hätten wenigstens den Mund halten können.

Das wunderbare Funktionieren des Konsums moderner Gesellschaften, in dessen Verlauf zwar allerlei Verführungsstrategien gegen die Autonomie des Subjekts aufgeboten werden, hat seine Grundlage darin, daß man nach Handelsabschluß erhobenen Hauptes samt Ware nach Hause gehen kann. Wohl dem, der frei kaufen kann und nach dem Bezahlen aus dem Geschäft heraus ist, wenn nicht Nachbesserungen an der Ware erforderlich werden. Inzwischen kommt der Handel immer häufiger auf die Praxis des Gabentauschs zurück. Wo früher Rudis Reste Rampe Einrichtungsgegenstände minderer Güte feilbot, ziehen nun sogenannte Factory-Outlets ein. Schicke Designerware wird hier angeboten wie zuvor der Kram von Rudi, Umtausch ausgeschlossen. Wer in das distinktive Spiel der edlen Formen genügend eingearbeitet ist, verfällt leicht der Form des Geschenks, die wir unter dem Namen Schnäppchen kennen.

Während der Outlet bevorzugt von den Stadträndern aus den traditionellen Einzelhandel mit seiner Egalisierung des Luxus beunruhigt, bevorzugen andere die Praxis exklusiver Inklusion. Der Modehersteller Zapa bietet im Berliner Ortsteil Friedenau seine Ware per Lagerverkauf an, zu dem man nur durch eine sorgsam gepflegte Kundenkartei Zugang erhält. Freundinnen dürfen Freundinnen empfehlen. Die Strenge der Einlaßkontrolle beflügelt den Ehrgeiz, irgendwann auch mit eigener Clubkarte ausgestattet zu werden. Kaufen zu dürfen ist hier das Ziel der sozialen Veranstaltung.

Meine privaten Kauf-nix- Tage leiste ich mir übrigens am liebsten im Quartier 206 in der Berliner Friedrichstraße. Das Geschäft ist so ausgesucht schön und teuer, daß für die meisten ausgelegten Waren die zur Verfügung stehenden Zahlungsmittel nicht ausreichen. Der Konsumterror hat hier keine Chance. Die Kollegin S. beispielsweise schätzt die bevorzugte Bedienung und probiert mit Vergnügen die erstklassigen Kleider an. Nirgends könne man besser lernen, wie ein Anzug zu sitzen hat, und das ausgebildete Personal ist bemüht, Unwissenheit zu beheben und auftretende Verhaltensunsicherheiten ohne weiteres Aufhebens zu übersehen. Das ganze Glück und die hohe Zeremonie des Einkaufens kann hier ohne Vollzug geprobt werden – ein echtes Geschenk. Harry Nutt