„Sex ist Nebensache“

Er ist beinahe so lange unterwegs wie der Weihnachtsmann. Jetzt war James Brown sogar wieder im Studio. Der Godfather des Funk über brüderliche Liebe, familienfreundliche Shows, seinen göttlichen Unterhaltungsauftrag und darüber, daß fast alle heutige Musik von ihm stammt

Mr. Brown, Ihr neues Album trägt den Titel „I'm Back“. Das wievielte Comeback feiern Sie eigentlich?

Keine Ahnung. Ich habe einfach ein unglaubliches Glück. Die Leute haben mich so oft abgeschrieben. Du weißt, wie das ist: Sie kaufen acht oder zehn Jahre begeistert deine Platten, und auf einmal sind sie weg. Sie wenden sich von dir ab und suchen nach etwas Neuem. Aber wenn sie es dann gefunden haben, merken sie schnell: „Das hört sich an wie James Brown.“ Und dann fragen sie sich: „Warum soll ich mich mit etwas zufrieden geben, das wie James Brown klingt, wenn ich den echten James Brown haben kann?“ Dem kann ich nur zustimmen.

Aber die 80er waren doch eine harte Zeit für Sie, oder?

Nenn mir einen Präsidenten, einen Senator oder einen ganz normalen Menschen, der davon verschont bleibt? Jeder erlebt irgendwann harte Zeiten. Was sind harte Zeiten für dich? Wenn du ins Gefängnis mußt? Ich sage es dir: Die wirklich harten Zeiten fangen erst an, wenn Gott dich nicht mehr erhört. Und so gesehen hatte ich immer gute Zeiten. Wir kommen gerade aus England, wo wir vor 257.000 Menschen in Leeds aufgetreten sind. Wenn das die harten Zeiten sind, will ich mehr davon – ja, gib mir mehr von diesen harten Zeiten!

In den 50er und 60er Jahren haben Sie der Welt Funk und Soul gebracht. Danach waren Sie Geburtshelfer für die Disco-Musik der 70er Jahre. Was ist es, das Sie uns heute zu bieten haben?

Hör dir mein neues Album an. Darauf findest du diverse Bands, die unterschiedliche Arten von Musik spielen. Das einzige, was gleich geblieben ist, ist James Brown. Für mich steht fest, daß 90 Prozent der heutigen Musik aus meiner Feder stammen. Weißt du, ich habe 1965 mit „Papa's Got A Brand New Bag“ Musikgeschichte geschrieben und alles verändert. Irgendwann hat jeder angefangen, mich zu kopieren. Also legte ich eine Pause ein. Irgendwann kam aber der Zeitpunkt, an dem ich unbedingt wieder etwas produzieren wollte. So, I feel good!

Sie haben einfach auf den richtigen Moment gewartet?

Ja, denn wenn die Menschen gute, saubere Musik hören wollen, dann kommen sie zu James Brown. Ich möchte, daß deine Mutter, dein Vater und deine Kinder zu meiner Show kommen, denn sie ist sauber. Ich renne nicht über die Bühne und fluche die ganze Zeit, denn du würdest nicht wollen, daß deine Familie so etwas hört. Ich habe gewartet, bis die Menschen riefen: „Please, give us something positive!“ Und genau das tue ich. Ich bin übrigens einer der wenigen Künstler, die je eine Audienz beim Papst hatten. Wenn du mir das nicht glaubst, kann ich dir ein Foto zeigen. (zu seinem Manager) Hey, gib mir mal das Bild mit dem Papst, denn er wird mir sonst nicht glauben. Siehst du, hier ist es.

Ihre aktuelle Single „Funk On Ah Roll“ basiert auf dem 71er Klassiker „Hot Pants“. Gehen Ihnen etwa die Ideen aus?

Nein. Wir haben „Hot Pants“ und „Papa, Don't Take No Mess“ gesampelt, aber „Funk On Ah Roll“ wird die neue „Sex Machine“. Die Nummer ist der absolute Knaller. Ich wollte sie heute abend noch live bringen, aber dann habe ich mich doch zurückgehalten. Ich gebe meinem Publikum jeden Klassiker, den es hören will, und bereite es langsam auf dieses gigantische neue Album vor.

Ganz ehrlich: Wissen Sie eigentlich, wie viele Singles und Alben Sie in den letzten 40 Jahren veröffentlicht haben?

Keiner weiß es so genau. Meine Songs werden ständig gesampelt, ohne daß ich dafür bezahlt werde. Ich glaube fast, daß ich bis an mein Lebensende kein Geld dafür sehen werde.

Warum nehmen Sie sich keinen Anwalt?

Das habe ich getan, aber Geld habe ich bis heute keines gesehen. Dabei werden unzählige Alben aus meinen Songs gemacht – das müssen inzwischen fast 500 sein, aber es ist verdammt schwierig, das zu beweisen. Der letzte Prozeß geht gerade zu Ende, und es sieht so aus, als könnten wir uns einigen. Ich kann nur hoffen, daß sie mich auch bezahlen.

Die 60er werden oft als „goldene Zeit“ dargestellt. Ist die Gegenwart im Vergleich dazu wirklich so grau?

Oh ja, die 90er sind grau, g-r-a-u. Es gibt keine großen Bands mehr und schon gar kein Entertainment. Das will ich zurückbringen, aber nicht, um den Ruhm für James Brown zu ernten, sondern um das gesamte Busineß zurück an die Spitze zu führen.

Woher nehmen Sie die Energie für all das?

Gott gibt mir diese Energie. Bevor ich auf die Bühne gehe, nehme ich keine Flüssigkeit zu mir, noch nicht einmal Limonade. Ich stecke mir eine Zigarette an, nehme ein, zwei Züge und schmeiße sie weg. Wenn ich erst einmal zwei, drei Wochen am Stück arbeite, dann rauche ich überhaupt nicht mehr. Na gut, vielleicht mal eine, aber ich bin doch eher so etwas wie ein Partyraucher.

Lassen Sie uns ein bißchen in der Vergangenheit kramen: War „Say It Loud – I Am Black And I'm Proud“ damals als Hymne der Black-Power-Bewegung konzipiert, oder ist sie nur zufällig dazu geworden?

Das war reiner Zufall. Damals gab es zwei Bewegungen: Die eine war Black Power, die andere, zu der auch ich gehörte, Black Pride, p-r-i-d-e. Wir wollten einfach nur ein normales Leben führen, und dafür forderten wir mehr Chancengleichheit. Ich wollte immer schon im Musikbusineß tätig sein, denn die Welt wird von zwei Sachen zusammengehalten: Musik und Filmen. Der Rest ist nebensächlich. Auch Sex ist eine nebensächliche Sache, von der heute aber viel ausgeht, denn Sex ist überall – ob du ihn magst oder nicht. Ich mag Sex, wie steht's mit dir?

Warum nicht?

Ich liebe Sex – am besten in Kombination mit guter Musik.

Ist James Brown immer noch der große Womanizer?

Nein, kein Womanizer. Die Leute mögen mich, und da kommt es auch schon mal vor, daß eine Frau mit mir ins Bett geht. Nur: Wenn sie es nicht will, dann will ich es auch nicht. Warum sollte ich mit ihr schlafen, wenn sie mich gar nicht mag? Das ist doch, als ob du rohes Fleisch ißt. In der Beziehung bin ich nun einmal verwöhnt. Es muß immer eine Art Gefühlsaustausch vorhanden sein: Gib mir Liebe, und du bekommst Liebe von mir, oder laß mich dir Liebe geben, aber bitte, gib mir auch etwas Liebe zurück.

Den richtigen Partner zu finden, scheint heute schwieriger denn je. Sie sind inzwischen vier Mal geschieden...

Das ist richtig. Leider schauen dir die Leute heute lieber ins Portemonnaie als in dein Herz. Meine Güte, dein Portemonnaie ist doch nur ein Stück Leder.

Warum mögen so viele Menschen Sie?

Schau, James Brown ist fast so lange unterwegs wie der Weihnachtsmann. James Brown und Dick Clark [amerikanischer TV- Entertainer; d. Red.] sind Amerikas älteste Teenager, und die Leute lieben uns jeden Tag mehr. Dafür danke ich ihnen von ganzem Herzen. Ich bin wirklich froh, daß ein Umbruch in Amerika stattgefunden hat, und die Menschen mich als schwarzen Entertainer akzeptieren.

Ist Musik eine Universalsprache?

Richtig! Musik ist die Universalsprache, und wenn sie positiv ist, fliegst du damit zum Mond. Ist sie negativ, fliegst du zwar auch zum Mond, mußt aber auf halbem Weg umkehren, weil dir der Sprit ausgeht.

Ist Ihre Musik universal?

Wenn meine Musik dein Herz berührt, dann fühlst du dich gut. Der Rhythmus sagt deinem Gehirn, daß es sich gut fühlen soll. Dein Gehirn kann dann nur reagieren, indem es zuhört, denn es kann sich ja nicht bewegen. Aber dein Herz kann es, und das ist der Trick an der Sache. Außerdem gibt es heute Computer. Jetzt kann sich selbst ein Mann, der in den Wäldern lebt, über alles informieren. Dafür danke ich Ted Turner und Bill Gates – sie vereinen die Menschen zu einer großen Familie. Vor nicht allzu langer Zeit waren wir uns fremd – auch wir beide. Du kanntest mich nicht, und ich kannte dich nicht. Heute weißt du wahrscheinlich Dinge über mich, die ich schon längst vergessen habe.

Ich habe gelesen, daß Sie Computer nicht mögen, daß sie Teufelswerk seien, vor allem in der Musik.

Der Teufel ist einer von Gottes Engeln. Wer weiß, vielleicht kämpfen die beiden ja gar nicht gegeneinander, sondern spielen bloß ein Spiel.

Wie damals, als Sie etwas Sex und Lust in das prüde Amerika der späten 50er brachten?

Ja, das könnte man so sagen. Damals wollten einige Leute richtig funky sein, aber sie hatten eben nicht den passenden Rhythmus dafür. Den habe ich ihnen gegeben. Ich mußte mir aber alles hart erarbeiten, denn mir wurde nichts geschenkt. Ich wurde tot geboren – drei oder vier Stunden dachten sie, ich wäre tot. Dann fing meine Großtante an, mich zu beatmen, und ich fand zurück ins Leben.

Ist das wahr?

Das steht auch im Booklet der neuen Platte – es ist keine Geschichte, das ist wirklich passiert! Ich wurde tot geboren. Das hat mich schon als Baby berühmt gemacht, denn die Ärzte hatten keine Erklärung dafür. Man merkt daran eindeutig, daß James Brown nicht normal ist – und dafür danke ich Gott. Und wer mich beklaut, der darf sich nicht wundern, wer heute zum Abendessen kommt: Nicht Einstein, nicht Frankenstein, sondern James Brown, J-a-m-e-s B-r-o-w-n.

Einer Ihrer letzten großen Hits war „Living in America“ – eine Liebeserklärung an die Vereinigten Staaten.

Natürlich liebe ich Amerika – ich werde immer ein Amerikaner sein. Jedes Land hat seine Probleme. Auch Deutschland, obwohl hier sehr clevere Leute leben. Wenn du als Kind die falschen Sachen mitbekommen hast, fällt es dir schwer, sie als Erwachsener abzulegen. Auch dann, wenn du eingesehen hast, daß du im Unrecht bist. Und so verbreitet sich das über die Generationen. Aber dann kommt James Brown mit guten Songs, und alle Leute lieben ihn. Ich habe heute abend beim Konzert die Tränen aller möglichen Kulturen gesehen und käme nie auf den Gedanken, eine von ihnen zu hassen. Ich war einmal in Chicago, es muß so im April 68 gewesen sein, als ein schwarzer Gewerkschafter kontrollieren wollte, ob auch alle Musiker ihre Beiträge bezahlt hatten. Als er meinen weißen Bassisten sah, kam er zu mir und sagte: „Mr. Brown, ich dachte Sie wären ein Mann der Schwarzen.“ – „Hey, ich bin mein eigener Mann, und ich bin Gottes Mann, aber sonst bin ich nur mein eigener Mann, und dafür danke ich dem Herrn.“ Doch er antwortete: „Aber alle Bands haben schwarze Bassisten, sie hingegen einen weißen.“ – „Wirklich?“, sagte ich. „Ich weiß gar nicht, wovon Sie reden. Wo ist denn mein Bassist?“ – „Na, der Typ da drüben, der Weiße.“ – „Der da drüben?“, fragte ich, „das ist kein weißer Bassist, das ist mein Bassist, und wenn ihr ihn nicht spielen laßt, gehen wir alle zusammen nach Hause.“

Sie sind aber auch bekannt als Waffennarr.

Ich brauche meine Waffen, aber man hat sie mir weggenommen. Sie haben mir das Schlimmste angetan, was man einem Mann in Amerika, vor allem in South Carolina, antun kann. Das hindert mich aber nicht daran, mein Land zu lieben – trotz der vielen Rassisten. Und ich sage es ihnen auch ins Gesicht, daß ich mich nicht vor ihnen verkriechen werde, sondern sie liebe. Würde ich sie hassen, wäre ich genauso schlecht wie sie. Sag mal, wie alt bist du eigentlich?

29, sehe ich älter aus?

Nein, den Leuten von heute kann man ihr Alter nicht mehr ansehen. Aber soll ich dir was sagen? Als ich aufwuchs, da gab es keine Männer, die mit 65 noch so aussahen wie ich und dieselbe Energie hatten. Sie saßen nur da und haben sinnlos vor sich hingebrabbelt. Die haben doch keinen mehr hochgekriegt. Jetzt müssen die Leute nicht einmal Viagra schlucken.

Sind Sie heute wirklich ein Mann für die ganze Familie?

Das war schon immer so und wird auch so bleiben. Ich kann es mir nicht leisten, jemanden zu hassen, denn soviel Zeit bleibt mir nicht mehr – höchstens noch 50 Jahre. Interview: Marcel Anders