■ EU-Staaten streiten sich ums Geld, und der Osten muß warten
: Die neue deutsche Knickerigkeit

Was ist gerecht? An dieser Frage entzündet sich der Streit zwischen den EU-Mitgliedsstaaten, und an dieser Frage droht die geplante Osterweiterung der EU zu scheitern, wenn es so weitergeht.

Die rot-grüne Koalition hat eine klare Vorstellung von Gerechtigkeit. Ungerecht ist es demnach, daß Deutschland der mit Abstand größte Nettozahler in die EU-Kassen ist. Wie die Krämer zählen die Deutschen jede Mark, die sie in die gemeinsame Kasse einzahlen, und rechnen sie auf gegen das Geld, das sie hinterher wieder daraus erhalten. Dabei ist mitnichten so klar, was Gerechtigkeit eigentlich ist. Ist es im europäischen Interesse vielleicht nicht gerechter, daß die reichen Länder mehr einzahlen als die ärmeren? Daß ein Land wie die Bundesrepublik, in der nur ein verschwindend kleiner Bevölkerungsanteil von der Landwirtschaft lebt, an diejenigen Länder zahlt, in denen die Landwirtschaft noch eine Rolle spielt? Und schließlich ist es reichlich kurzsichtig zu behaupten, die deutsche Wirtschaft profitiere allein von den Auszahlungen aus der Brüsseler Kasse. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die deutsche Exportwirtschaft, die zum allergrößten Teil an Abnehmer in anderen EU- Ländern liefert, ist die größte Nutznießerin von EU- Hilfen für die strukturschwächeren Länder.

Nun steht außer Frage, daß die EU sich reformieren muß, daß sie vor allem ihre Agrarsubventionen und ihre fast ebenso problematischen Regionalhilfen umkrempeln muß. Denn ohne dies ist der längst beschlossene Schritt nach Osten verstellt. Würde das jetzige System der Landwirtschaftssubventionen beibehalten, dann müßte sich der EU-Agrarhaushalt verdoppeln, wenn die fünf osteuropäischen Beitrittskandidaten dazustoßen. Dies zu finanzieren, ist kein EU- Staat bereit.

Durch die Starrsinnigkeit der EU-Mitglieder liegt die Osterweiterung de facto auf Eis. Für die Aufnahme neuer Mitglieder hat die EU einige Bedingungen gestellt: erstens ausreichende Reformen in den Beitrittsstaaten und zweitens die notwendigen Reformen innerhalb der EU selbst. Letztere verhindern die EU-Minister, die ihre nationalen Pfründen eisern verteidigen. Hat Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl, der sich gern mit dem Titel „Kanzler der europäischen Einigung“ schmückte, den osteuropäischen Ländern noch großzügig einen Beitritt bis zum Jahr 2002 zugesichert, so gibt sich sein Nachfolger Gerhard Schröder kleinkarierter. An erster Stelle stehen für ihn die deutschen Interessen. Und danach kommt ganz lange gar nichts. Nicola Liebert