Chávez siegt in Venezuela

Der Populist und ehemalige Putschist Hugo Chávez verweist als unabhängiger Kandidat die gesamte traditionelle politische Elite des Landes in die Opposition  ■ Von Bernd Pickert

Berlin (taz) – Mit gut 56 Prozent der Stimmen hat der 44jährige unabhängige Kandidat Hugo Chávez die Präsidentschaftswahlen in Venezuela klar gewonnen. Sein Gegenkandidat Henrique Salas Römer, der von beiden traditionellen Parteien Venezuelas, der sozialdemokratischen „Demokratischen Aktion“ (AD) und der christdemokratischen Copei, unterstützt worden war, kam nur auf knapp 40 Prozent, die unabhängige ehemalige Miß Universum Irene Saénz auf nicht einmal 4 Prozent.

Der ehemalige Fallschirmspringer Hugo Chávez, der mit markigen Sprüchen gegen das politische Establishment angetreten war, hatte 1992 mit einem Putsch die Macht zu erobern versucht und war gescheitert. Die folgenden zwei Jahre hatte er im Gefängnis verbracht.

Seine Wahl ist vor allem eine Entscheidung gegen das bisherige Zweiparteiensystem Venezuelas, in dem sich AD und Copei seit 1958 an der Macht abgewechselt hatten – gegen eine politische Staatselite, die sich in den letzten Jahren immer wieder mit Korruptionsvorwürfen auseinanderzusetzen hatte. Der große sozialdemokratische Präsident Carlos Andres Pérez etwa, jahrelang das lateinamerikanische Flaggschiff der Sozialistischen Internationale, hatte einen Korruptionsprozeß nach dem anderen am Hals und mußte 1993 wegen Korruptionsvorwürfen aus dem Amt scheiden. Er wurde von dem 82jährigen, halbsenilen Christdemokraten Rafael Caldera abgelöst. Jetzt, nach dem Sieg Chávez', spricht Carlos Andres Pérez von einem „Abschied vom Zyklus der Demokratie“.

Chávez selbst findet dafür ganz andere Worte: Mit seinem Sieg werde „Venezuela wiedergeboren“, verkündete er. Einen radikalen Umbau von Gesellschaft, Demokratie und Wirtschaft hatte er im Wahlkampf versprochen – jetzt versuchte er, die Investoren zu beruhigen. Ob ihm das mit den zwei Worten „Habt Vertrauen!“ gelingen wird, ist hingegen fraglich.

Das Volk allerdings liebt Chávez, besonders die Armen setzen all ihre Hoffnungen in den „Comandante“. Auf den Straßen Venezuelas feierten noch am Wahlabend Tausende Menschen seinen Sieg. „Chávez ist der einzige mit einem wirklichen Sinn für das Volk“, und: „Jetzt werden wir eine echte Demokratie haben – die Korrupten werden gehen müssen“, diktierten Demonstranten den Reportern in die Mikrofone.

Im lateinamerikanischen Kontext setzt die Wahl Chávez' die Reihe der Wahlsiege von unabhängigen Kandidaten fort, die Anfang der 90er Jahre eingeleitet worden war. Dabei produziert das politische Establishment die eigenartigsten Antithesen: Von Neoliberalen mit diktatorischen Anwandlungen wie Alberto Fujimori in Peru über dumpfe Marionetten der Medienkonzerne wie Fernando Collor de Mello in Brasilien bis zum durchgeknallten Abdala Bucaram, der 1996 zum Präsidenten Ecuadors gewählt wurde. Collor de Mello wurde alsbald per Impeachment aus dem Amt gejagt; Bucaram 1997 wegen Unzurechnungsfähigkeit entlassen; Fujimori regiert noch heute und kämpft um eine weitere Amtszeit. Die Hoffnung, ein unabhängiger Kandidat werde mit Verve gegen Korruption und Machtmißbrauch antreten und Demokratie und soziale Umverteilung stärken, hat sich noch nirgends bewahrheitet. Am 2. Februar wird Chávez in Venezuela sein Amt antreten.