Rußlands Präsident meldet sich zurück

■ Jelzin feuert den Chef seiner Verwaltung und legt sich wieder ins Krankenbett. Justizminister und Steuerpolizei leitet er jetzt direkt.

Moskau (taz) – Rußlands Präsident Boris Jelzin landete gestern einen der für ihn so typischen politischen Überraschungscoups. Nur drei Stunden währte im Kreml das Gastspiel des vor 14 Tagen wegen Lungenentzündung hospitalisierten Präsidenten. Aber während dieser kurzen Frist veränderte Jelzin ganz wesentlich die bisher direkt dem Premierminister Primakow unterstellte Regierungsvertikale.

Zuerst einmal feuerte Jelzin einen der bisher mächtigsten Männer, den langjährigen Chef seiner persönlichen Administration, Valentin Jumaschew (41), sowie dessen drei Stellvertreter. Jumaschews Funktion soll in Zukunft General Nikolai Bordjuscha (49) ausüben, und zwar in Personalunion mit dem Vorsitz im Nationalen Sicherheitsrat, den er erst Mitte September übernommen hatte. Außerdem unterstellte der Präsident das Justizministerium und die Steuerpolizei seiner persönlichen Führung und wechselte die Führungsspitze der Telegrafenagentur „Fapsi“ aus. Diese Agentur dient als geheimdienstlicher Provider von Kommunikationskanälen. Im Kreml interpretierte man Jelzins Maßnahmen so: „Der Präsident tut alles, um die Stabilität und Sicherheit zu gewährleisten, bis zum Jahre 2000, in dem wieder reguläre Präsidentenwahlen abgehalten werden.“

Indem er sich selbst wieder als ernstzunehmenden politischen Faktor ins Spiel brachte, hat der Präsident das Land erst einmal aus seinem politischen Gleichgewicht gebracht. Dieses beruhte in den letzten Wochen auf einer stillschweigenden Übereinkunft aller Parteien, Jelzin als rein dekoratives Staatsoberhaupt zu dulden und gleichzeitig Premier Primakow als De-facto-Vizepräsidenten anzuerkennen, auch wenn er dieses Amt offiziell noch nicht erhalten hatte.

Den von den gestrigen Veränderungen Betroffenen warf der Präsident vor, sie hätten den Kampf gegen den politischen Extremismus und die Korruption im Lande schlecht koordiniert. Jelzin nutzte für seinen neuesten Schachzug die noch immer anhaltende Empörung über den Mord an der demokratischen Politikerin Galina Starowojtowa und die Unfähigkeit der Regierung, auf die Korruptionsvorwürfe der liberalen Jabloko-Fraktion zu antworten. Gleichzeitig stimmt Jelzins mit seiner Demarche harmonisch in den Chor der Politiker ein, die im Lande nach der starken Hand rufen. Wie diese Hand auszusehen hat, davon hegen die verschiedenen politischen Kräfte recht unterschiedliche Vorstellungen. Parlamentspräsident Selesnjow schlug vergangene Woche vor, die „Katorga“ wieder einzuführen, eine Errungenschaft des Strafvollzugs, die härteste Haftbedingungen mit Hungerrationen und dem Zwang zur körperlichen Schwerstarbeit kombiniert.

Die Mehrheit der Duma-Deputierten rief indessen nach der berühmten „eisernen Faust“ des 1926 verstorbenen Felix Edmundowitsch Dserschinski. Sie beschlossen, sein Denkmal wieder vor dem Hauptquartier des heute FSB genannten Geheimdienstes aufzustellen. Nach dem Putsch 1991 hatten wütende Volksmassen die Statue des Begründers der bolschewistischen Geheimpolizei und KGB- Vorläuferin, der „Tscheka“, gestürzt. Die den Antrag unterstützenden Deputierten meinten aber, nur noch die Rückkehr des Denkmals könne einen wirksamen Kampf gegen das Verbrechen im Lande garantieren. Für die meisten Moskauer ist Dserschinski allerdings noch immer der Begründer des roten Terrors, befleckt mit dem Blut unzähliger Bürger. Der Sturz seiner Statue besiegelte für sie den Abschied von der allumfassenden politischen Bespitzelung. Am Wochenende kam es auf dem Ljubjanka-Platz zu Prügeleien zwischen gegen den Duma-Beschluß protestierenden Bürgerrechtlern und Anhängern des faschistoiden Schriftstellers Eduard Limonow.

Mit ihrem Votum für den „eisernen Felix“ hat die Duma zu erkennen gegeben, daß sie sich des Zurückgleitens Rußlands in die Vergangenheit schon ziemlich gewiß ist. Anders denken da die St. Petersburger Bürger. Obwohl der Wahlkampf zu den Gemeindewahlen dort von Anschlägen und Bestechungsmanövern überschattet war, erteilten sie am Sonntag den Kommunisten und Rechtsradikalen eine Absage. Die liberale Jabloko-Gruppe feierte mit 24 Prozent der Stimmen den größten Erfolg. Barbara Kerneck