Mit dem Innenminister "nicht zufrieden"

■ Die bündnisgrüne Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck, findet Innenminister Schilys Bedenken zur Einwanderung bedauerlich. In Zukunft müßten auch Flüchtlinge Asyl erhalten, die

taz: Wie läuft's denn so in den ersten Wochen?

Marieluise Beck: Turbulent. Es ist offensichtlich so, daß mit der Besetzung des Amtes durch eine Bündnisgrüne bestimmte Erwartungshaltungen geweckt werden. In der Annahme, daß Bündnisgrüne sich besonders um Einzelschicksale kümmern, fluten jetzt hier Anfragen herein.

Mehr als bei Ihrer Vorgängerin?

Viel mehr. Es ist weithin bekannt, daß viele Bündnisgrüne in den Flüchtlingsräten sitzen oder mit amnesty zusammenarbeiten. Zum Teil weckt das Erwartungen, die ich gar nicht erfüllen kann.

Die Erwartungen an einen Kabinettskollegen, mit dem Sie besonders viel zu tun haben, scheinen ganz anderer Art zu sein. Wie ist denn Ihr Verhältnis zu Innenminister Schily von der SPD, den Sie ja noch aus gemeinsamen Gründertagen der Grünen kennen?

Kollegial und distanziert zugleich. Unsere politischen Wege haben sich getrennt. Insofern ist es nur folgerichtig, daß wir uns nun aus unterschiedlichen Parteien gegenübertreten, aber ein Stück wieder gemeinsam agieren werden, weil wir beide zur gleichen Bundesregierung gehören, jeder in einer anderen Rolle.

Schily hat mit Blick auf den Ausländeranteil in Deutschland gesagt, die Belastungsgrenze sei überschritten. Wie klingt so eine Äußerung in den Ohren der ersten Ausländerbeauftragten einer rot- grünen Bundesregierung?

Es haben sich an die rot-grüne Koalition Hoffnungen geknüpft, daß sich die Haltung der Regierung auch in den Bereichen Migration, Flucht und Asyl spürbar ändert. Ich bin mit der Einlassung des Innenministers sehr unzufrieden gewesen, weil sie große Enttäuschung erzeugt hat. Ich kann sie auch deshalb nicht nachvollziehen, weil ja die Regierung gerade im Bereich der Migrationspolitik einen großen Schritt voran tun will. Ich finde es bedauerlich, wenn die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts jetzt durch eine Zuwanderungsdebatte überlagert wird.

Wo sind die Meinungsverschiedenheiten zwischen Ihnen und Schily am größten?

Es ist kein Geheimnis, daß im Bereich Flucht und Asyl die Schnittmengen zwischen Rot und Grün auch in der Koalitionsvereinbarung sehr klein gewesen sind. Wir konnten nicht das aushandeln, was wir politisch durchsetzen wollten. Damit werden wir leben müssen. Es macht keinen Sinn, sechs Wochen nach Koalitionsverhandlungen jeden Konfliktpunkt wieder neu aufzudröseln. Es gibt aber auch offene Punkte. Wir haben uns geeinigt, daß das Flughafenverfahren überprüft wird, daß es eine Altfallregelung geben wird und daß die Flüchtlings- und Asylpolitik an internationale Standards angeglichen werden soll. Das bringt auch die Genfer Flüchtlingskonvention, die Europäische Menschenrechtskonvention und die Anerkennung der nichtstaatlichen Verfolgung auf die Tagesordnung. Ich verstehe allerdings die Enttäuschung mancher unserer Anhänger über die Vereinbarungen zur Asyl- und Flüchtlingspolitik.

Nach jetziger Rechtslage bekommen Menschen, die zwar nicht vom Staat, aber von Clans oder sonstigen politischen Gruppierungen politisch verfolgt werden, kein Asyl. Muß sich daran nicht dringend etwas ändern?

Die nichtstaatliche Verfolgung ist ein großes Problem. Im Grunde sind wir bei einem politischen Verfolgungsbegriff stehengeblieben, der sich an einem hermetischen Bild der Zeit von 1933 bis 1945 orientiert. Aber es gibt inzwischen viele andere Formen von Verfolgung. Und es besteht die Gefahr, daß wir diesen veränderten Verhältnissen nicht ausreichend gerecht werden. Insofern muß eine gesellschaftliche Auseinandersetzung darüber stattfinden, daß nichtstaatliche Verfolgung zunimmt, wie etwa in Afghanistan, und Menschen auch davor geschützt werden müssen.

Ausländerpolitik ist ein hoch emotionalisierter Bereich. Das gilt auch für die doppelte Staatsbürgerschaft. Ist nicht ein möglichst breiter gesellschaftlicher Konsens wünschenswert, um das Thema zu entschärfen, selbst um den Preis, der Union Zugeständnisse machen zu müssen?

Ich wünsche mir immer möglichst große Schnittmengen gesellschaftlicher Art. Aber im Augenblick lese ich immer wieder den Satz: Doppelte Staatsbürgerschaft verhindert Integration. Es kommt mir so vor, als ob das Konrad-Adenauer-Haus per E-Mail an alle Parteicomputer diesen Satz verschickt hat mit der Aufforderung, ihn in alle Presseerklärungen hineinzuschreiben. Dabei ist diese Aussage durch nichts gedeckt. Ich habe den Eindruck, daß die Opposition noch nach Profil sucht und dieses Thema im Augenblick als eines der wenigen für sich gefunden hat. Da kann ich nur appellieren, daß sie sich gut überlegt, was sie tut. Niemand kann ein Interesse am Schüren von dumpfen Gefühlen haben.

Haben Sie schon Reaktionen von Immigranten auf die geplante Reform bekommen?

Kurz nachdem unsere Pläne bekanntgeworden waren, war ich auf einer türkischen Veranstaltung. Die Leute waren wie elektrisiert. Das können wir vielleicht gar nicht nachvollziehen, aber für viele bei uns lebende Türken ist es einfach wichtig, daß sie den deutschen Paß hochhalten können.

Die Berliner CDU-Ausländerbeauftragte Barbara John meint, die Integration insgesamt sei rückläufig. Der Anteil von Ausländern an guten Einkommen und in attraktiven Berufen sinke. Auch die Sprachkenntnisse würden insgesamt betrachtet eher geringer. Teilen Sie diese Ansicht?

Ich möchte bezweifeln, daß es zur Stützung dieser Thesen wirklich wissenschaftlich belastbares Material gibt. Mir ist es nicht bekannt. Aber selbst wenn sie recht hätte, bleibt offen, wie darauf reagiert werden müßte. Entscheidend für die Auflösung von ethnischen Kolonien ist für mich die Frage, welche Brücken eine Gesellschaft baut. Die Antwort kann nur heißen: Integrationsangebote, Integrationsangebote, Integrationsangebote.

Das heißt konkret?

Wir alle wissen, daß wegen der Leere der öffentlichen Kassen in Schulen, die Schüler unterschiedlicher Kulturen und Nationen haben, die sächlichen Voraussetzungen immer stärker beschnitten werden. Manche deutschen Eltern nehmen dann einen Wohnortwechsel vor, weil sie das ihren Kindern nicht zumuten wollen. Durch eine entsprechende Ausstattung der Schulen wäre es möglich, die deutschen Bewohner in diesen Stadtvierteln zu halten und die Kinder anderer Nationen hineinzuflechten. Ein weiterer Punkt ist der Religionsunterricht. Die 34.000 Kinder islamischen Glaubens in Berlin wären besser als in einer Koranschule in einem schulischen Islamunterricht aufgehoben, der Religion mit unseren Verfassungswerten, unseren Vorstellungen von Demokratie und Gleichberechtigung verknüpft. Wenn man nicht wahrhaben will, daß es Islam in Deutschland gibt, fördert man desintegrative Tendenzen.

In der Politik hat das Wort „Zumutung“ ja gerade Konjunktur. Was würden Sie Ausländern zumuten, damit sie ihren Teil zur Integration beitragen?

Ich bin sehr dafür, insbesondere ausländischen Männern zuzumuten zu akzeptieren, daß in dieser Gesellschaft Frauen und Männer gleichberechtigt sind. Wir alle wissen, daß das ein großes Spannungsfeld ist. Das geht schon in den Schulen los, wo Kerle, selbst wenn sie erst zwölf sind, meinen, ihrer Schwester vorschreiben zu können, wohin sie sich bewegen darf. Wir müssen diese Konflikte ganz massiv angehen. Das können beispielsweise Auseinandersetzungen von Lehrerinnen mit Vätern sein, die ihre Töchter nicht mit ins Landschulheim fahren lassen. Es können Gespräche mit Eltern junger Mädchen sein, die nicht am Schwimmunterricht teilnehmen dürfen. Nicht alle Konfliktfelder sind durch Gesetze zu lösen, aber es gibt über unsere Verfassung einen Grundkonsens.

Sie setzen offenbar stark auf Reden und Überzeugen. Reicht das?

Ich bin ein Mensch, der an Aufklärung glaubt. Ich gehe davon aus, daß Gesellschaft sich wirklich im diskursiven Prozeß verändert.

Kommen wir noch einmal auf Ihr Amt zu sprechen. Sie hatten, wie Sie erzählt haben, gerade mal 30 Sekunden Zeit, sich zu entscheiden, ob Sie die Aufgabe übernehmen wollten. Liegt darin nicht eine Mißachtung sowohl gegenüber Ihrer Person als auch Ihrem Amt?

Das sehe ich nicht so. Diejenigen, die auf mich zugekommen sind, wußten, daß ich im Bereich der Flüchtlings- und der Solidaritätsarbeit tätig gewesen bin.

Aber es war doch weder die Ausstattung des Amtes geklärt noch die Zahl Ihrer Mitarbeiter oder die Frage des Kabinettszugangs, den Sie ja nun nicht haben. Wäre es nicht besser gewesen, vor einer grundsätzlichen Zustimmung zu der Aufgabe erst einmal die Bedingungen zu klären?

Koalitionsverhandlungen sind keine Haushaltsverhandlungen.

Sie haben 15 Mitarbeiter. Der neue Staatsminister für Kultur, Michael Naumann, gebietet über einen Personalstab von ungefähr 300 Leuten. Ärgert Sie das Ungleichgewicht nicht?

Kein Kommentar. Warum sollte ich meinen Ärger in der taz ausbreiten?

Weil es eine politische Frage ist.

Dieses Amt ist ein Querschnittsamt, und da gibt es eine Menge von ressortübergreifenden Kooperationen. Das wollen wir noch ausweiten. Ich gehe davon aus, daß das Amt auch im Zusammenhang mit dem großen Projekt des neuen Staatsbürgerschaftsrechts gestärkt wird. Jetzt nach hinten zu schauen und mir einen Kopf zu machen, was in den Koalitionsverhandlungen hätte passieren können, das ist nicht meine Art. Interview: Bettina Gaus und

Markus Franz, Bonn