Aus Pfennigbeträgen macht Europa Milliarden

■ Deutschland zahlt der Europäischen Union 20 Milliarden Mark mehr, als es am Ende wieder herausbekommt. 1,4 Pfennig von jeder Mark Mehrwertsteuereinnahmen landen in Brüssel

Auf dem EU-Gipfel im Oktober in Pörtschach belustigte der Präsident des Europaparlaments die 15 Regierungschefs mit einer erstaunlichen Logik: Die Bevölkerung würde sich mehr für Europa interessieren, sinnierte José-Maria Gil Robles, wenn sie endlich Steuern an die EU zahlen dürfte. Die Chefs waren amüsiert und komplimentierten den Spanier zur Tür hinaus. Dabei ist der Vorschlag weder neu noch völlig hirnrissig. Eine EU-Steuer würde zur Klarheit beitragen.

Schließlich finanziert sich die Europäische Union auch jetzt vorwiegend aus Steuergeldern, nur kaum einer weiß, wieviel und nach welchem Schlüssel er zur Integration Europas beiträgt. Der Vorstoß des Spaniers hat nur ein paar Haken. Zum einen paßt so etwas derzeit überhaupt nicht in die Landschaft. Schon das Wort EU- Steuer läßt Regierungen zusammenzucken. Es riecht nach zusätzlicher Belastung der Bürger und nimmt den Finanzministern einen Teil ihrer eifersüchtig bewachten Steuerhoheit. Zum anderen ist der Absender nicht über jeden Verdacht erhaben: Gil Robles wollte offensichtlich die für Spanien lästige Nettozahlerdiskussion ein für allemal vom Tisch haben.

Wenn alle EU-Bürger gemäß ihrer Wirtschaftskraft in Brüssel einzahlten, wäre das für die Deutschen automatisch am teuersten. Das ist zwar schon jetzt so, aber die Bundesregierung arbeitet hart daran, genau dies zu ändern. Rund 50 Milliarden Mark überweist Bonn jährlich nach Brüssel – fast ein Drittel des gesamten EU-Budgets. Nur knapp 30 Milliarden Mark fließen über Agrarsubventionen oder Strukturhilfen zurück. Das ergibt einen Nettobeitrag von 20 Milliarden, über den sich schon die Kohl-Regierung aufregte.

Die neue Regierung schließt daran nahtlos an: Kanzler Schröder hat die Senkung des EU-Beitrags zu einem Hauptziel erklärt. Die Lasten müßten „gerechter verteilt“ werden. Das hört sich gut an, hilft aber nicht viel weiter. Zum einen gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen über finanzielle Gerechtigkeit. Zum anderen ist der aktuelle Beitragsschlüssel nicht am Reißbrett entstanden, sondern in zähen politischen Auseinandersetzungen zwischen den Mitgliedsstaaten. Ursprünglich finanzierte sich die EU vorwiegend aus Zöllen und Importabschöpfungen für Agrareinfuhren aus Nicht-EU-Ländern. Doch je mehr Aufgaben die Mitgliedsregierungen für die Gemeinschaft beschlossen, desto größer wurde der Geldbedarf. Die sogenannten traditionellen Eigenmittel reichten bald nicht mehr aus. Deshalb wurden nationale Beiträge eingeführt, die sich am Mehrwertsteueraufkommen orientierten.

1990 kamen knapp 30 Prozent der Einnahmen aus Zöllen und Importabschöpfungen, 70 Prozent aus der Mehrwertsteuer. Für jede Mark Mehrwertsteuer, die die Konsumenten zahlen müssen, zahlte die Bundesregierung 1,4 Pfennig nach Brüssel. Doch die Mehrwertsteuer sagt viel über den Konsum, aber wenig über den Wohlstand der Käufer aus. Der Einkaufsboom nach der deutschen Vereinigung etwa steigerte das Mehrwertsteueraufkommen in Deutschland und damit die Abgaben nach Brüssel gewaltig, obwohl die Deutschen im Durchschnitt ärmer geworden sind.

Auf deutschen Druck wurde deshalb in den achtziger und neunziger Jahren die Berechnungsgrundlage zweimal geändert: Die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer machen jetzt nur noch einen Teil der Beiträge aus, was zählt, ist das Bruttosozialprodukt: 1,19 Prozent des deutschen Volkseinkommens gehen derzeit an die EU. Im dritten Anlauf will die Bundesregierung die Beiträge nun vollständig auf einen Prozentsatz des Bruttosozialprodukts umstellen lassen. Bonn hofft, auf diese Weise – zusammen mit anderen Vorschlägen – ein paar Milliarden einzusparen.

Doch dafür braucht die Bundesregierung die Zustimmung aller 15 Regierungen, von denen die meisten Nachteile in Kauf nehmen müßten. Denn wenn ein Land weniger zahlt, müssen die anderen entweder mehr hinlegen oder bekommen weniger aus der Brüsseler Gemeinschaftskasse. Überzeugung allein reicht da nicht, man braucht Druckmittel, und die hat Bonn nicht wirklich. Schließlich ist die Osterweiterung der EU vor allem im deutschen Interesse, Spanien und Portugal würden sie liebend gern verschleppen.

Die EU-Beiträge sind kein Finanz-, sondern ein Interessensausgleich. Wer politisch etwas erreichen will, muß den anderen dafür etwas bieten, in letzter Instanz ist das meistens Geld. Und kaum ein anderes Land will soviel wie Deutschland. Wenn Bonn deshalb heute zuviel zahlt, dann gibt es dafür eine Reihe von Gründen. Schon in den Gründungsverträgen vor 40 Jahren gab die Adenauer- Regierung dem französischen Wunsch nach einer gemeinsamen Agrarpolitik nach, die heute die Hälfte des EU-Haushalts verschlingt. Im Gegenzug erhielt Deutschland damals die politische Anerkennung und einen großen Markt für Industrieprodukte.

In den 80er Jahren kam der Binnenmarkt dazu, dem sich Spanien, Portugal, Italien und Irland nur gewachsen fühlten, wenn sie als Ausgleich für die zu erwartenden Handelsdefizite mehr Strukturhilfen bekämen. Deshalb wurden die Strukturhilfen auf 50 Milliarden Mark jährlich aufgestockt. Wie bei allen EU-Ausgaben zahlt Deutschland von jeder Mark, die die EU ausgibt, genau 29 Pfennig. Die spanische Regierung findet das gerecht. Deutschland sei das größte und wirtschaftsstärkste Land und zudem Hauptnutznießer der Kosten der Osterweiterung. Die Spanier wollen weder den Beitragsschlüssel noch die beschlossenen Ausgaben antasten lassen. Und Finanzbeschlüsse müssen in der EU einstimmig gefaßt werden. Alois Berger, Brüssel