Kommentar
: Räuber und Erpresser

■ Bündnis für Arbeit: Verhandelt Industrie mit kriminellen Kräften?

In Sabine Christiansens Sendung vom Sonntag hat der Vize des Bundesverbandes der deutschen Industrie, Ignaz Walter, das Wort ergriffen, um sich zu einer Frage der Demokratietheorie zu äußern: zur Aufgabe des Gesetzgebers, tätig zu werden, wenn gesellschaftliche Konsensgespräche nichts erbracht hätten. Es ging um die gesetzliche Begrenzung von Überstunden. In lockerer Anknüpfung an den vorangegangenen Krimi verglich Walter die Parlamentsmehrheit mit einem Bankräuber. Der stelle den Kassenwart der Bank (also ihn) vor die Wahl, entweder freiwillig das Geld rauszurücken (Konsens) oder mit vorgehaltener Pistole dazu gezwungen zu werden (Gesetzgebung). Dieser Vergleich erregte nur leises Murren bei den am Talk Anwesenden. Ansonsten folgte die Sendung dem gewohnten kommunikations- und witzlosen Gang. Die einzige Pointe: Am nächsten Tag startete die erste Sitzung des Bündnisses für Arbeit.

Einst war es Konsens gewesen, daß demokratisch legitimierte Instanzen dem, was auf dem Markt geschieht, Rahmenbedingungen vorgeben. Man nannte das „soziale Marktwirtschaft“. Jetzt heißt derselbe segensreiche Vorgang für Vertreter der Unternehmensseite unwidersprochen räuberische Erpressung. Dank für die demokratische Lektion!

Wirtschaften ist die Sache der Unternehmer und nicht der Unternommenen. Der Staat stört, wenn er sich zugunsten letzterer einmischt, wenn er sich sogar zu der Behauptung versteigt, die Reduktion der Überstunden könnte irgend etwas zu tun haben mit der Verringerung der Arbeitslosigkeit. Darüber sollen die von der Last der Verantwortung gebeugten, allein sachkundigen Unternehmer entscheiden. Sonst bleibt leider nichts übrig, als die Produktion ins Ausland zu verlagern. Dies zu konstatieren ist natürlich keine Erpressung. Es ist schlicht die Feststellung einer historischen Tendenz, einer „revolutionären“ Tendenz, wie Walter erläuterte.

Überhaupt Revolution. Im 19. Jahrhundert, meinte Herr Walter sachkundig, hätten die Proletarier Grund zur Revolution gehabt. Jetzt hätten ihn die Unternehmer. An ihnen sei es, der neuen historischen Tendenz zum Durchbruch zu verhelfen. Merkwürdig. Hatte Karl Marx nicht geschrieben, die Proletarier müßten „ihre Köpfe zusammenrotten gegen die Schlange ihrer Qualen“? Damals ging es um die Verkürzung des Normalarbeitstags auf gesetzlichem Weg. Christian Semler