"Jeder Ort hat seine Reize"

■ Wie man Oscar Wildes "Salome" mit den sprachlichen Mitteln einer Gertrude Stein inszeniert: Ein Gespräch mit der in Berlin lebenden amerikanischen Performance-Künstlerin Lindy Annis

Die Liste der Auftrittsorte der amerikanischen Performerin Lindy Annis liest sich irgendwie konspirativ: K.G.B. Klub, Front Kino, Gallery SoToDo, Fischlabor, Interconti, Z.K. der S.E.D., Checkpoint, Institut Unzeit, Sperrgebiet Wünsdorf. Seit ihrer Ankunft in Berlin 1985 hat sie fast vierzig ihrer minimalistischen Stücke entwickelt, oft den Orten der Subkultur auf den Leib geschneidert.

Bisher war das Autobiographische Ausgangspunkt ihrer Short Stories, die mit knappen Gesten und sparsamer Sprache den Raum für die Imagination öffnen. Für ihr Projekt im Podewil, wo sie ein Jahr als „Artist in Residence“ arbeiten konnte, nahm sie Oscar Wildes „Salomé“ als Vorlage. Ihre „Salomé 7“ klingt, als ob statt Wilde Gertrude Stein den Text geschrieben hätte, der auf ein dramaturgisches Skelett von einem Dutzend Sätzen ausgedünnt ist. In diesem Gerüst beschwören Windgebrüll und elektronisches Rauschen von Frieder Butzmann und die Dia- und Videoprojektionen von Katrin Schoof und Rudi Ewals Jahrhunderte der Erzählung von der Verführung.

taz: Fühlt man sich nach dreizehn Jahren immer noch als „Amerikanerin“ in Berlin?

Lindy Annis: Man bleibt immer, was man ist. Wie ich die Welt anschaue, Personen, die Stadt, und wie ich mit einem Text umgehe, das ist ganz anders als die deutsche Tradition. Da steckt immer noch meine ganze Kindheit in Amerika und die Prägung durch die Fernsehkultur mit drin.

Sie spielen ihre Stücke in einem Englisch, das man allein schon mit seinen Schulkenntnissen wunderbar verstehen kann. Hat die Reduzierung der Sprache etwas mit der Situation des Fremdsprachigen zu tun?

Durchaus. Als ich in Berlin ankam, sprachen auch die Westberliner noch nicht gut englisch; dann kamen nach der Wende die Ostberliner dazu. Da muß ich genau überlegen, was will ich sagen, was sind die Schlüsselwörter. Das finde ich toll, auf englisch sagt man, it keeps me honest.

Wie sind Sie auf Salomé gekommen?

Bisher habe ich fast alle Stücke selbst geschrieben, die waren sehr persönlich. Diesmal wollte ich mit einem Text arbeiten und bin auf Oscar Wilde gekommen. Als ich „Salomé“ zuerst gelesen habe, dachte ich, nein, das ist mir viel zu existentiell, zu pathetisch: Frau, Mann, Blut, Sex, Leidenschaft, Bibel. Aber die Sprache hat mich interessiert, die Wiederholungen, das singende. Dann dacht' ich, gut, nehm ich ein Stück, was ich eigentlich nie im Leben machen würde, als Herausforderung.

Bei „Salomé“ denke ich zuerst an Klischees von der Femme fatale, von todbringender Weiblichkeit und gefährdender Erotik.

Ich habe mit vielen Frauen geredet, die Salomé als Opfer der Männer sehen. Das ist mir zu schwarzweiß. Salomé ist schon eine Frau, die böse handelt – aber ich fühl' mich oft wie Salomé. Wir machen alle Sachen, die uns hinterher leid tun. Und sie macht es immer und immer wieder in meinem Stück. Das interessiert mich, die Kette, die da einklinkt, und man kommt nicht raus.

Die Bilder in „Salomé 7“ zitieren aus Filmen, aus der Malerei, und so wird der Stoff immer mehr auf eine Zeichenebene verkürzt. Welche Chance bleibt der Geschichte denn vor dieser riesigen Materialsammlung, neu erfahren zu werden?

Ich lasse dem Publikum Zeit, seine eigenen Bilder herzustellen. Man sieht die tanzende Salomé im Kopf lange, bevor sie im Video kommt. Bilder und Text prallen immer wieder in anderen Konstellationen aufeinander; das bringt vielleicht neue Gedanken.

Gegenüber den wenigen gelesenen Sätzen taucht Text auch als Menge auf, über die Wände und über Ihren Körper geblendet. Da entsteht die Vorstellung von einem riesigen Wortspeicher, Sprach-Gedächtnis.

Man steht da, es ist das zwanzigste Jahrhundert, und man hat diese endlose Menge von Text, Geschichte, Erlebnissen, Geschehen vor sich. Das wiegt auf den Schultern. Man wird von diesen Wörtern geschlagen, muß das irgendwie bewältigen, dies ganze Wissen, was da vor uns kam. Der Weg, wie ich da hineingreife, ist immer eine subjektive Geschichte.

Seit 1985 haben Sie fast vierzig Stücke entwickelt, aufgeführt an bestimmt zwanzig verschiedenen Orten, nicht nur Theater. Wie organisiert man sein Leben als Performerin?

Es ist ziemlich chaotisch. Es gab früher oft wilde Auftritte in irgendeiner Bar um zwei Uhr nachts, das war anstrengend. Jeder Ort hat seine Reize und seine Macken und hinterher hab ich immer Lust, was anderes zu machen. Ich brauche diese Ortswechsel, weil ich nicht einfach ein Bühnenbild in den Raum stellen, sondern etwas aus dem Raum entwickeln will.

Welche Unterstützung gab es für ihre Produktionen?

Von der Stadt bekomme ich kaum Unterstützung. 1996 hatte ich ein Stipendium vom Künstlerinnen-Programm, von dem Theatertopf in Berlin habe ich in dreizehn Jahren nur einmal Geld bekommen. Es wird immer schwieriger. Ich lebe von verschiedenen Arbeiten, zum Beispiel Texte für Kindertheater schreiben. Und ich arbeite in meinen Performances sehr billig. Wir hatten auch diesmal, trotz der Unterstützung durch das Podewil, wenig Geld, aber trotzdem wollten alle weitermachen.

Während der Arbeit an Salomé 7 ist Ihr Sohn zur Welt gekommen. Ist das in dem Stück wiederfindbar?

Nein, oder doch? Es war die existentiellste Sache in meinem bisherigen Leben, und das Stück ist auch sehr existentiell.

Wie wird man Minimalistin? Hat das mit einem Arbeitsethos zu tun, mit wenig auszukommen?

Für mich ist das Stück wahnsinnig voll. Ich sage einen Satz, und je weniger ich mache, desto voller wird es. Die Untersuchung von Sprache, was alles da drinsteckt, das ist für mich die spannende Sache.

Interview: Katrin Bettina Müller

„Salomé 7“, vom 10. bis 13. Dezember ab 21 Uhr im Podewil, Klosterstr. 68–70, Mitte