Pendelverkehr ohne Ende

Mit den Politikern, Lobbyisten und Journalisten könnten es schon im kommenden Jahr 7.000 Pendler werden, die zwischen Bonn und Berlin hin- und herreisen  ■ Von Philipp Gessler

Der Umzug der Bundesregierung nach Berlin wirft seine Schatten voraus: Schon im kommenden Jahr werden Tausende Pendler zwischen dem alten und dem neuen Regierungssitz erwartet. Etwa 3.500 Mitarbeiter der Bundesregierung werden voraussichtlich ab 1999 jedes Wochenende zwischen Bonn und Berlin hin- und herfahren, sagte Annalie Schoen, Hauptstadtreferentin der Berliner Senatsbauverwaltung, am Montag in Berlin.

Rechne man noch viele Politiker und deren Mitarbeiter, Teile des etwa 2.000köpfigen Pressekorps und Vertreter der 1.600 in Bonn angemeldeten Verbände mit, könnten es sogar 7.000 Pendler werden, erklärte Uwe Proll, Chefredakteur des Behörden Spiegels, der sich mit einer eigenen „Umzugszeitung“ um die Umzügler in den Bonner und Berliner Behörden kümmert. Die Mitarbeiter der Bonner Behörden würden die Kosten für das Pendeln zwischen Rhein und Spree in den ersten zwei Jahren erstattet bekommen, erläuterte Schoen auf einer Podiumsdiskussion des „Berliner Medien Clubs, Reinhardtstraße“ im Abgeordnetenhaus.

Das Pendlerproblem sei lange verdrängt worden, ergänzte Herbert Schmülling, bis vor kurzem stellvertretender Regierungssprecher der Regierung Kohl: Unklar sei etwa, ob das Straßennetz nach Berlin den erwarteten Ansturm der Pendler und den Verkehr anläßlich der Expo im Jahr 2000 verkraften könne.

Auch die Straßen der Hauptstadt werden Schoen zufolge unter der neuen Regierungsfunktion Berlins belastet werden. Bis die Regierung in den kommenden Jahren schrittweise ihre Arbeit hier aufnehmen werde, könnten noch nicht alle Straßenbauarbeiten beendet werden.

Ebenso wie die Berliner hätten dann auch die Bonner noch die Möglichkeit, die „Faszination“ zu erleben, die von den großen Baustellen der Stadt ausgingen. Für etwa 9.100 Bonner würden hier Wohnungen gebaut oder umgebaut – davon seien etwa 4.000 frühere Wohnungen der alliierten Soldaten in Berlin, 5.100 Wohnungen würden neu gebaut.

Allerdings gingen die Berliner davon aus, daß es einen „Rutschbahneffekt“ beim Umzug der Ministerien nach Berlin gebe: Je mehr Behörden umzögen, um so mehr würden im Laufe der Jahre voraussichtlich folgen, um den Anschluß an das neue Zentrum der Macht nicht zu verlieren.

Schmülling schätzte, daß etwa ein Drittel der Mitarbeiter der Bonner Bundesbehörden nach Berlin wollen, ein weiteres Drittel einen Umzug rundweg ablehne und das letzte Drittel noch „Schwellenangst“ habe. Immerhin sei Berlin etwa zwölfmal so groß wie Bonn. Es gebe jedoch auch „riesige Widerstände“ bei Berliner Beamten, die im Zuge des Hauptstadtvertrags nach Bonn umziehen müßten.

Michael Kretschmer von der Bundesbaugesellschaft bekräftigte, daß das Kanzleramt am 30. Juni 2000 fertig und im Oktober 2000 bezugsfertig sein solle. Annelie Schoen zeigte sich skeptisch zur Ankündigung von Bundeskanzler Gerhard Schröder, möglichst schon früher mit der Regierungstätigkeit in Berlin zu beginnen, da die Zeitpläne für den Umzug aus baulicher Sicht „unheimlich ausgequetscht“ seien: Man könne da wohl „nichts mehr verkürzen“.